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BGH zu Anforderungen an die Beweislast: Keine Produkthaftung für Bruch eines Keramikinlays in Hüftprothese

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs („BGH“) hat mit Urteil vom 01.08.2023 (Az. VI ZR 82/22) die Revision in einem Verfahren um behauptete Fabrikations-, Konstruktions-, und Instruktionsfehler im Zusammenhang mit dem Bruch des Keramikinlays einer Hüftprothese gegen den Hersteller zurückgewiesen und unterdies die insoweit etablierten Regeln zur Darlegungs- und Beweislast (vorerst) bestätigt.

Sachverhalt

Dem Urteil des BGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2007 war der Klägerin eine von der Beklagten hergestellte Hüftendoprothese implantiert worden. Das für die Pfanne der Prothese verwendete Inlay war in eine Metallummantelung eingepresst worden. Aufgrund eines Bruchs der in der Prothese verbauten Pfanne wurde diese 2011, also etwa vier Jahre nach der Implantation, ausgetauscht. Die Klägerin sah in der gebrochenen Pfanne einen Produktfehler der Hüftprothese und verlangte von der Beklagten, einer österreichischen Gesellschaft, materiellen und immateriellen Schadenersatz.

Zur Entscheidung des BGH

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte lag vor. Da die Klage noch vor dem 10.01.2015 erhoben worden war, ergab sich die Zuständigkeit (noch) aus der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, sog. „Brüssel I-VO“ (Art. 5 Nr. 3, 60 Abs. 1).

Zudem war auf den Streitfall deutsches Recht anwendbar. Aufgrund der Unsicherheiten, ob im Zusammenhang mit der ROM II-VO das schadensbegründende Ereignis in dem „Zeitpunkt des Inverkehrbringens“ (vor 2007) zu sehen gewesen wäre, oder, ob es auf den „des Eintritts der Rechtsgutsverletzung“ (hier 2011), angekommen wäre, haben die Parteien noch in der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz eine sog. ausdrückliche Rechtswahl getroffen – was der BGH (erstaunlicherweise) für zulässig hielt (sei es nach Art. 14 Abs. 1 der ROM II-VO oder aber nach Art. 42 S. 1 EGBGB).

Inhaltlich kam der BGH sodann zu dem Ergebnis, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz weder nach §§ 1, 3, 8, 9 ProdHaftG noch nach § 823 Abs. 1 BGB zustehe. Bereits das Berufungsgericht, hier das OLG Brandenburg, habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hatte, dass das von der Beklagten hergestellte Produkt fehlerhaft i.S.d. § 3 Abs. 1 ProdHaftG war. Der VI. Senat des BGH zeigte hierzu schulbuchmäßig auf, warum weder ein Fabrikations- noch ein Konstruktions- und auch kein Instruktionsfehler gegeben sei: Für das Vorliegen eines Produktfehlers und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden trage nach § 1 Abs. 4 Satz 1 ProdHaftG (eben) der Geschädigte die Beweislast. Ein Fabrikationsfehler liege nicht bereits deshalb vor, weil das Keramikinlay einen Abstand von 0,65 mm zum oberen Metallrand der Metallummantelung aufgewiesen habe. Der befasste Sachverständige habe insoweit nicht feststellen können, dass das Einsinken des Keramikinlays in die Metallummantelung Auswirkungen auf die Bruchsicherheit gehabt haben könnte. Entgegen der Auffassung der Revision habe das OLG hier auch das Eingreifen eines Anscheinsbeweises nicht verkannt, vielmehr fehle es (im konkreten Fall) an dem für das Eingreifen des Anscheinsbeweises typischen Geschehensablauf. Und auch die Tatsache, dass es zum Bruch des Inlays gekommen sei, lasse – so zutreffend das Berufungsgericht – nicht den Rückschluss auf das Vorliegen eines Konstruktionsfehlers zu, denn auch die Verwendung eines anderen Materials hätte kein Mehr an Sicherheit bedeutet. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass es bei der Verwendung des anderen Materials zu weniger Brüchen gekommen wäre, lagen zur Zeit des Inverkehrbringens noch nicht vor. Schließlich liege ein Instruktionsfehler nicht vor, da ein über das generell bestehende Bruchrisiko hinausgehendes Risiko zur Zeit des Inverkehrbringens nicht bekannt und ein Hinweis zu dieser Zeit damit bereits denklogisch gar nicht möglich gewesen ist.

Zudem praktisch besonders relevant betonte der BGH in seiner Begründung, dass der IV. Senat des OLG Brandenburg die Heranziehung der Grundzüge der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union („EuGH“) aus 2015, wonach bei bestimmten medizinischen Produkten (wie Herzschrittmachern oder implantierten Cardioverten Defibrillatoren) bereits bei „Verdacht eines Produktfehlers“ von einem Fehler i.S.d. § 3 Abs. 1 ProdHaftG ausgegangen werden könne, zutreffend verneint hatte. Daher habe der Fehler eben konkret nachgewiesen werden müssen, was nicht gelungen sei. Auf die insoweit sehr interessante Frage, ob die Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs zu Herzschrittmachern und implantierbaren Cardioverten Defibrillatoren auf Gefahren übertragbar ist, die von implantierbaren Produkten wie Hüftendoprothesen ausgehen, kam es nach Ansicht des BGH nicht an. Nach dem Vortrag der Klägerin habe der Bruch des Keramikinlays zu einer Fehlfunktion ihrer Prothese geführt. Die daraufhin erfolgte Austauschoperation habe der Beseitigung dieser Fehlfunktion und nicht der Beseitigung der Gefahr eines künftigen Ausfalls des Produkts gedient. Der BGH ließ die Haftung der Herstellerin mithin bereits daran scheitern, dass selbst bei einem unterstellten potenziellen Serienfehler dieser nicht ursächlich für die eingetretene Körperverletzung der Klägerin gewesen wäre.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des BGH ist überzeugend und verdient eine besondere Aufmerksamkeit, da die im Produkthaftungsrecht etablierten Regeln zur Darlegungs- und Beweislast (vorerst) bestätigt werden.

Das könnte sich allerdings zukünftig ändern: Zahlreichen Branchenkennern wird bekannt sein, dass bereits die Eckpunkte für eine neue Produkthaftungsrichtlinie vorliegen. Wie auch just der zitierte Fall des BGH wieder aufzeigt, ist es für Geschädigte nicht immer leicht, die Fehlerhaftigkeit des Produkts, und den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Fehlerhaftigkeit und dem entstandenen Schaden nachzuweisen. Zu den Kernanliegen der neuen Produkthaftungsrichtlinie sollen daher aller Voraussicht nach auch Beweiserleichterungen und der Zugang zu Beweismitteln für Geschädigte zählen. Während für den Schaden weiterhin den Geschädigten die volle Beweislast trifft, sollen die Fehlerhaftigkeit und auch der Kausalzusammenhang immer dann widerlegbar vom angerufenen Gericht vermutet werden, wenn eine Beweisführung aufgrund technischer oder wissenschaftlicher Komplexität übermäßig schwierig wäre. Möglicherweise hat der Geschädigte dann nur noch zu beweisen, dass das Produkt „wahrscheinlich fehlerhaft“ war, bzw. zu beweisen, dass diese wahrscheinliche Fehlerhaftigkeit den Schaden „wahrscheinlich verursacht“ hat. Weiterhin sieht der Entwurf der Produkthaftungsrichtlinie vor, dass Geschädigten Zugang zu (relevanten) Beweismitteln künftig weitgehend gestattet werden wird. Der Geschädigte soll Zugang zu in der Verfügungsgewalt des Herstellers befindlichen Beweismitteln beantragen können, um Ansprüche somit besser geltend machen zu können. Diese Pflicht zur Offenlegung von Beweismitteln ist ein gegenüber dem bisherigen deutschen Recht fremder (und über § 142 ZPO weit hinausgehender) Ansatz.

Als Vertreter der Produzenten und/oder als Vertreter der Haftpflichtversicherer kann man hinsichtlich der angedachten deutlich verschärften Haftungsrisiken nur dringend appellieren und im Übrigen hoffen, dass Gerichte mit diesen neuen Ansätzen – sollten diese so in Kraft treten – restriktiv umgehen werden.

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