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Zugang einer als „Einwurf-Einschreiben“ versandten Kündigung

Der ordnungsgemäße Auslieferungsbeleg mit der Unterschrift eines Postbediensteten erbringt den Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten. Das hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAG) in seinem – nicht rechtskräftigen – Urteil vom 15.06.2023 entschieden (Az. 1 Sa 1/23).

Sachverhalt

Die Parteien streiten über den Zugang einer ordentlichen Kündigung.

Mit Schreiben vom 28.09.2021 kündigte der Beklage das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten Quartalsfrist zum 31.12.2021. Das Kündigungsschreiben wurde entsprechend dem Zustellungsnachweis der Deutsche Post AG vom 30.09.2021 der Klägerin zugestellt. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 28.09.2021 nicht zum 31.12.2021, sondern erst zum 31.03.2022 aufgelöst worden ist.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es folgt der Auffassung, dass bei Übersendung eines Schriftstücks per Einwurfeinschreiben und gleichzeitiger Vorlage des Einlieferungsbelegs unter Reproduktion des ordnungsgemäß unterzeichneten Auslieferungsbelegs ein Nachweis des ersten Anscheins für den Zugang dieses Schriftstücks beim Empfänger spreche. Der feststehende tatsächliche Geschehensablauf führe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Einwurf der Sendung in das richtige Postfach bzw. den richtigen Briefkasten. Zwar seien fehlerhafte Zustellungen naturgesetzlich nicht ausgeschlossen, aber nach der Erfahrung so unwahrscheinlich, dass die Annahme eines Anscheinsbeweises gerechtfertigt sei. Das Kündigungsschreiben des Beklagten sei am 30.09.2021 so in den Machtbereich der Klägerin gelangt, so dass diese unter normalen Umständen am gleichen Tag hiervon hätte Kenntnis nehmen können. So bewirke der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei. Dabei sei im Interesse der Rechtssicherheit eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestanden habe, sei es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert gewesen sei, den Briefkasten zu leeren, da ihm insoweit eine Obliegenheit treffe, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Nachdem das Kündigungsschreiben von einem Bediensteten der Deutsche Post AG eingeworfen sei, sei auch davon auszugehen, dass dies zu den üblichen Postzustellzeiten erfolgt sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Zustellung durch die Deutsche Post AG und nicht durch einen anderen Versanddienstleister oder -boten erfolgt sei. Es würden keine Anhaltspunkte bestehen, dass das Schreiben durch die Deutsche Post AG zu einer Tageszeit eingeworfen worden sei, zu der nach den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs nicht mehr mit einer Entnahme am 30.09.2021 zu rechnen gewesen sei. Für die Klägerin habe daher noch am 30.09.2021 die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Kündigungsschreibens bestanden und dieses sei ihr daher iSv § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen. Der Beklagte habe damit die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende eingehalten, so dass die Kündigung vom 280.9.2021 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.12.2021 aufgelöst habe.

Die Berufung der Klägerin zum LAG hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das LAG folgte der Vorinstanz in Begründung und Ergebnis. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen führte lediglich ergänzend unter Verweis auf Rechtsprechung anderer Landesarbeitsgerichte sowie des BGH, dass der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger spreche, wenn es per Einwurf-Einschreiben übersendet und vom Absender Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers vorgelegt werden. Der Auslieferungsbeleg der Deutsche Post AG mit der Unterschrift des Zustellers erbringe ferner auch den Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten. Es könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Mitarbeiter der Deutsche Post AG die Zustellungen im Rahmen seiner ihm zugewiesenen Arbeitszeiten vornehme, die dem jeweiligen Zusteller zugewiesenen Arbeitszeiten prägten damit regelmäßig auch die ortsüblichen Zustellzeiten. Nach der allgemeinen Verkehrsanschauung sei damit zu rechnen, dass bei Hausbriefkästen im Allgemeinen eine Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten erfolgt. Der Klägerin obliege es damit, Sachverhalte aufzuzeigen, dass das Kündigungsschreiben außerhalb der gewöhnlichen Postzustellzeiten in ihren Briefkasten gelangt ist. Hierfür bestünden im entschiedenen Fall jedoch keinerlei Anhaltspunkte.

Hinweis für die Praxis

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der Rechtsstreit ist beim BAG (Az. 2 AZR 213/23) anhängig. Mit dem LAG Nürnberg schließt sich indessen ein weiteres Landesarbeitsgericht der Auffassung des BGH an, die damit nun die wohl überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung darstellen dürfte, sodass viel dafür spricht und zu hoffen ist, dass auch das BAG die Frage für die Arbeitsgerichtsbarkeit in diesem Sinne höchstrichterlich entscheiden wird.

Diese Entwicklung ist für die Praxis zu begrüßen. Es bestehen ohnehin für die Zustellung von Papier-Dokumenten und dessen Nachweis hohe Anforderungen und einige Tücken, wie beispielsweise eine keinesfalls zu empfehlende Zusendung per Einschreiben-Rückschein, bei der der windige Empfänger den Zugang vermeiden kann, indem er die Annahme verweigert, was insbesondere bei fristgebundenen Erklärungen die Wirksamkeit der Erklärung gänzlich vereiteln kann.

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