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EuGH gestattet Verbot von Apotheken-Gewinnspielen

Der EuGH hat am 15. Juli 2021 auf Vorlage des BGH entschieden, dass ein nationales Werbeverbot für Versandapotheken mit Blick auf Gewinnspiele, bei denen die Teilnehmer nach Rezept-Einsendung Gegenstände des täglichen Gebrauchs gewinnen können, zulässig ist. Damit steht es nationalen Gesetzgebern frei, die Verkaufsmodalitäten von Apotheken bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel selbst zu regeln.
 
Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Gewinnspielwerbung der in den Niederlanden ansässigen Versandapotheke DocMorris. Diese lobte gegenüber ihren Kunden, die eine Verschreibung einlösen, die Verlosung diverser Preise, einschließlich eines E-Bikes, aus. Die Apothekerkammer Nordrhein sah in diesem Gewinnspiel eine unzulässige Zugabe nach § 7 HWG. Dieser Auffassung war in zweiter Instanz das OLG Frankfurt gefolgt, da durch die Auslobung des Gewinnspiels die Verbraucher unsachlich beeinflusst werden. Die Teilnahmemöglichkeit an einem Gewinnspiel löse einen Anreiz aus, der dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 HWG zuwiderläuft. Das Zuwendungsverbot solle eine mittelbare Gesundheitsgefährdung vermeiden und in erster Linie verhindern, dass die Kunden bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, unsachlich beeinflusst werden. Zwar könnte man argumentieren, dass es darum vorliegend nicht gehe, weil das fragliche Arzneimittel bereits verordnet und ein Arzneimittelfehlgebrauch durch Beeinflussung des Arztes nicht zu befürchten ist. Es bestehe jedoch die naheliegende Möglichkeit, dass der Patient sein Rezept bei der Beklagten vorlegt anstatt bei einer anderen Apotheke, insbesondere bei einer stationären Apotheke. Insoweit berief sich das OLG auf die Entscheidung „DocMorris/Deutsche Parkinsonvereinigung“ des EuGH, der ausgeführt hatte, dass Versandapotheken im Gegensatz zu stationären Apotheken nicht in der Lage seien, Patienten durch ihr Personal vor Ort individuell zu beraten, sondern ein eingeschränktes Leistungsangebot haben. Die Versandapotheke könne nur telefonisch und auf ausdrückliche Nachfrage beraten. Da es aber für den Kunden bedeutsam sein könne, auch bei Einlösung eines Rezepts unaufgefordert beraten zu werden – beispielsweise im Hinblick auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten – sei die Entscheidung für eine stationäre Apotheke oder eine Versandapotheke gesundheitsrelevant und dürfe nicht beeinflusst werden.
 
Im Anschluss an die zugelassene Revision hat der BGH den Rechtsstreit dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt. Der BGH fragte an, ob das grundsätzliche Verbot von Werbegaben mit den Zielen und Bestimmungen der Richtlinie 2001/83, dem Gemeinschaftskodex für humane Arzneimittel, vereinbar sei. Die Richtlinie sähe zwar keine spezielle Vorschrift über die Werbung für Arzneimittel in Form von Verlosung vor. Zudem sei der Entscheidung „Deutsche Parkinson Vereinigung“ (C-148/15, Urteil vom 19. Oktober 2016) zu entnehmen, dass es in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Versandapotheken nicht versagt werden könne, mit niedergelassenen Apotheken in einen Preiswettbewerb zu treten, um die in der Unmöglichkeit einer individuellen Beratung der Patienten vor Ort liegende Einschränkung ihres Leistungsangebots auszugleichen. Nach Auffassung des BGH steht zwar zu befürchten, dass es zu einer unsachlichen Beeinflussung der Verbraucher kommt, jedoch sei nicht zu befürchten, dass es zu einer unzweckmäßigen oder übermäßigen Verwendung von Arzneimitteln komme.
 
Der EuGH hat in seiner Entscheidung zunächst klargestellt, dass der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel auf eine derartige Werbung keine Anwendung findet. Es gehe dabei nicht darum, dass der Kunde ein bestimmtes Arzneimittel kaufen soll, sondern, wie von der Apothekerkammer Nordrhein hervorgehoben, um die nachgelagerte Entscheidung für die Apotheke, bei der er das Arzneimittel kauft. Somit handele es sich nicht um die Werbung für ein bestimmtes Arzneimittel, sondern um die Werbung für das gesamte Sortiment verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Eine solche Werbung fällt aber nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Sodann hat der EuGH über die konkrete Vorlagefrage hinaus weiter ausgeführt, dass ein derartiges Verbot auch nicht im Widerspruch zur Richtlinie der Dienste der Informationsgesellschaft 2000/31 steht. Voraussetzung für die Teilnahme an dem Gewinnspiel sei nämlich die Übersendung der Verschreibung, die außerhalb des Onlineshops der Versandapotheke erfolge. Der EuGH hat abschließend ausgeführt, dass einem entsprechenden Verbot auch nicht die Grundfreiheiten des Ar EU Vertrages entgegenstünden. Da die Maßnahme im Wesentlichen den Absatz von Waren betreffe, müsse sie sich an der Warenverkehrsfreiheit messen lassen. Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung handele es sich aber bei einem derartigen Verbot lediglich um eine Verkaufsmodalität, die nicht geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern, da die Regelung für alle Apotheken gelte, die in Deutschland verschreibungspflichtige Arzneimittel anbieten. Auch gelte die Regelung für alle Arzneimittel, unabhängig davon, ob das Arzneimittel aus Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat stamme. Dieses Ergebnis steht nach Auffassung des EuGH auch nicht im Widerspruch zu seiner früheren Entscheidung „Deutsche Parkinson Vereinigung“, da das fragliche Verbot für Versandapotheken eine wesentlich geringere Auswirkung habe als ein absolutes Verbot eines Preiswettbewerbs.

Die Entscheidung stärkt die Autonomie der Mitgliedstaaten im sensiblen Bereich des Arzneimittelvertriebs. Insoweit schärft der EuGH den Anwendungsbereich der europäischen Richtlinie, die nur greift, wenn es um bestimmte Arzneimittel geht. Neben diesem Anwendungsbereich können die Mitgliedstaaten nationale Regelungen erlassen, die sich auf den Absatz von Arzneimitteln allgemein beziehen. Bereits in der Entscheidung „A“ (C-649/18, 1. Oktober 2020) hatte der EuGH den Mitgliedstaaten einen nicht unerheblichen Spielraum bei der Ausgestaltung nationaler Regelungen für Apotheken zugebilligt, um die Verbraucher aufgrund der Gesundheitsgefahren, die im Zusammenhang mit der Einnahme von Arzneimitteln stehen, zu schützen. Diese Linie wurde nunmehr fortgesetzt. Der Anwendungsbereich der nationalen Vorschrift des HWG ist somit deutlich breiter als der Anwendungsbereich der europäischen Richtlinie. Gleichzeitig steht ein solcher breiterer Anwendungsbereich nicht im Widerspruch zum europäischen Recht, solange die Warenverkehrsfreiheit gewahrt wird.

Die Apothekerkammer Nordrhein begrüßt ausdrücklich die Entscheidung, da sie über den konkreten Sachverhalt hinaus grundsätzliche Bedeutung entfaltet. Somit ist das von niederländischen Versandapotheken gerne vorgebrachte Argument, sie müssten in ihren Marketingmaßnahmen letztlich frei sein, um angemessen in Deutschland agieren zu können, was in der Regel bedeutet, Vorschriften zum Gesundheitsschutz zu ignorieren, vom Tisch. Auch im Ausland ansässige Versandapotheken müssen sich demnach an derartige Regelungen zum Schutz der Verbraucher halten, sofern es sich um solche handelt, die für alle Marktteilnehmer gelten. Damit ist auch der extensiven Interpretation der Entscheidung „Deutsche Parkinson Vereinigung“ Einhalt geboten. Es wird nun Aufgabe der nationalen Gerichte sein, festzulegen, welche an den Absatz gekoppelten Marketingmaßnahmen zu einer unsachlichen Beeinflussung führen.

Die Apothekerkammer Nordrhein ließ sich auch vor dem EuGH von ihren Stammberatern Dr. Morton Douglas und Dr. Anne Bongers-Gehlert (beide Wettbewerbsrecht, Apothekenrecht) vertreten, mit denen sie seit vielen Jahren Grundsatzverfahren im deutschen Apothekenrecht führt. DocMorris wurde vor den deutschen Gerichten von der Kanzlei Diekmann vertreten. Im Verfahren vor dem EuGH wurde dann Raue mandatiert.

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