Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Insolvenz – Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung – Haftung des Betriebserwerbers

Arbeitnehmer mit Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung sind in der Insolvenz Ihres Arbeitgebers über den Pensionssicherungsverein abgesichert, dies aber insbesondere hinsichtlich der Dynamisierung der Versorgungsleistungen nicht vollständig. Haftet ein Betriebserwerber aus der Insolvenz für diesen nicht abgesicherten Teil der Anwartschaften? Der europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben hier für Klarheit gesorgt.

Sachverhalt

Den beiden Klägern sind Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden. Nach der Versorgungsordnung berechnet sich ihre Betriebsrente nach der Anzahl der Dienstjahre und dem – zu einem bestimmten Stichtag vor dem Ausscheiden – erzielten Gehalt. Über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin wurde am 1. März 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im April 2009 ging der Betrieb nach § 613a Abs. 1 BGB auf die Beklagte über.

Einer der Kläger erhält seit August 2015 von der Beklagten eine Betriebsrente iHv. ca. 145 Euro und vom PSV eine Altersrente iHv. ca. 817 Euro. Bei der Berechnung legte die Beklagte zwar die Versorgungsordnung einschließlich des zum maßgeblichen Stichtag vor dem Versorgungsfall bezogenen höheren Gehalts zugrunde, ließ aber den Anteil an der Betriebsrente, der vor der Insolvenz erdient war, außer Betracht. Der PSV setzte dagegen – wie im Betriebsrentengesetz vorgesehen – das zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgebliche niedrigere Gehalt des Klägers an. Der Kläger hält die Beklagte für verpflichtet, ihm eine höhere Betriebsrente zu gewähren. Diese müsse sich nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung auf der Basis des höheren Gehalts unter bloßem Abzug des Betrags errechnen, den er vom PSV erhalte. Der andere Kläger verfügte bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht über eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft. Daher steht ihm bei Eintritt eines Versorgungsfalls nach dem Betriebsrentengesetz kein Anspruch gegen den PSV zu. Er hält die Beklagte für verpflichtet, ihm künftig eine Betriebsrente in voller Höhe zu gewähren. Die Vorinstanzen haben die Klagen abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Kläger hatten vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

Die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit hatte in gefestigter Rechtsprechung § 613a Abs. 1 BGB seit jeher aufgrund der insolvenzrechtlichen Besonderheiten einschränkend ausgelegt. Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in diesen zwei Verfahren um eine Vorabentscheidung ersucht und um Beantwortung der Frage gebeten, ob eine solche einschränkende Geltung von § 613a Abs. 1 BGB im Fall eines Betriebsübergangs im Insolvenzverfahren mit unionsrechtlichen Bestimmungen, konkret Art. 3 Abs. 4, Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23/EG im Einklang steht und ob ggf. Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG vorliegend unmittelbare Geltung entfaltet und sich der Arbeitnehmer deshalb auch gegenüber dem PSV auf diesen berufen kann.

Wie der Gerichtshof der Europäischen Union auf diese Vorlage entschieden hat (EuGH 9. September 2020 – C-674/18 und C-675/18 – [TMD Friction]), ist diese gefestigte Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit mit Unionsrecht vereinbar. Sie rechtfertigt sich nach der allgemeinen Regelung des Art. 3 Abs. 4 Richtlinie 2001/23/EG, der auch neben den nur in der Insolvenz geltenden Bestimmungen in deren Art. 5 anwendbar bleibt. Voraussetzung ist, dass ein Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG entsprechender Mindestschutz gewährt wird. Dieser unionsrechtlich gebotene Mindestschutz wird in der Bundesrepublik Deutschland durch einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden und gegen den PSV gerichteten Anspruch gewährleistet.

Deshalb gilt auch weiterhin, dass im Hinblick auf die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts § 613a Abs. 1 BGB einschränkend auszulegen ist. Der Erwerber eines Betriebs(teils) in der Insolvenz haftet nach § 613a Abs. 1 BGB für Ansprüche der übergegangenen Arbeitnehmer auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nur zeitanteilig für die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgelegte Dauer der Betriebszugehörigkeit. Für die Leistungen, die auf Zeiten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhen, haftet er auch dann nicht, wenn für diesen Teil der Betriebsrente nach dem Betriebsrentengesetz der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) – der gesetzlich bestimmte Träger der Insolvenzsicherung – nicht vollständig eintritt.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts infolge der Antwort des Europäischen Gerichtshofs haben erhebliche Auswirkungen. Die bisherige Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte ist bestätigt und damit steht fest, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Insolvenz Ihres Arbeitgebers und anschließendem Betriebsübergang aus der Insolvenz – so wie bisher – für Anwartschaftszeiten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am Insolvenzrisiko ihres Arbeitgebers mittragen, soweit nicht die Einstandspflicht des Pensionssicherungsvereins reicht. Abgesehen von dieser Privilegierung über Pflichtversicherung sind die Beschäftigten damit – so wie bisher – mit den sonstigen Insolvenzgläubigern gleichbehandelt. Betriebserwerber aus der Insolvenz haben daher nicht das Insolvenzrisiko der übergehenden Arbeitnehmer aus der Vorbeschäftigungszeit beim insolventen Vorarbeitgeber zu tragen. Dadurch werden Betriebsübertragungen aus der Insolvenz heraus nicht weiter erschwert.

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