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Verstoß gegen Unterrichtungspflicht bei Massenentlassungsanzeige

Das LAG Niedersachsen hat mit Urteil vom 24.02.2021 (Az.: 17 Sa 890/20) entschieden, dass ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.

Sachverhalt

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war seit 1981 bei der Insolvenzschuldnerin, der G. GmbH, beschäftigt. Nachdem über deren Vermögen im Jahr 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, wurde schließlich die Einstellung des Geschäftsbetriebs der G. GmbH beschlossen. Im Rahmen dessen vereinbarten die Betriebsparteien einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie einen Sozialplan. Dabei verständigten sich die Parteien darauf, das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG sowie die weiteren Beteiligungsrechte in Bezug auf die europäische Massenentlassungsrichtlinie und die §§ 17 ff. KSchG, insbesondere nach § 17 Abs. 3 KSchG und § 20 Abs. 3 KSchG, mit dem Interessenausgleichsverfahren zu verbinden. Auch wurden dem Betriebsrat die nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderlichen Auskünfte, insbesondere die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenen Beschäftigten und die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, erteilt.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam, da der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht zugeleitet worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage des Klägers abgewiesen. Die Berufung des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des LAG führt allein der Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG sei kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB. Ein solches sei nur anzunehmen, wenn die maßgebliche Vorschrift von ihrem Inhalt her einen solchen Schutzzweck aufweist, der die von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit bewahren soll.

Nach der RL 98/59 EG vom 20. Juli 1998 seien zwar Verstöße des Arbeitgebers gegen seine Konsultationspflicht sowie seine Massenentlassungsanzeigepflicht zu sanktionieren, nicht aber Verletzungen von Nebenpflichten wie der Pflicht, der Arbeitsagentur eine Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrats zuzuleiten.

Soweit die Richtlinie und § 17 Abs. 1 - 3 KSchG durch die Verschränkung von Konsultations- und Anzeigeverfahren ein gemeinsames Handeln aller Beteiligten ermöglichen soll, gebiete dies ebenfalls nicht die Unwirksamkeitsfolge bei einem Verstoß gegen die Zuleitungspflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Denn durch die Vorabinformation könne die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsverwaltung weder vorbereitet noch erleichtert werden, weil im Zeitpunkt der Unterrichtung gerade noch nicht feststehe, ob und wie viele Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt gelangen werden und welche Arbeitnehmergruppen betroffen sind. Darüber sei gerade erst im Konsultationsverfahren zu verhandeln.

Hinweise für die Praxis

Die wesentliche Frage war, ob § 17 Absatz 3 Satz 1 KSchG ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB darstellt. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG hat das LAG Niedersachsen hierzu festgestellt, dass ein solches Verbotsgesetz nur dann anzunehmen sei, wenn die maßgebliche Vorschrift von ihrem Inhalt her einen solchen Schutzzweck aufweist, der die von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit bewahren soll (BAG, Urteil vom 21.03.2013 - 2 AZR 60/12, Rn. 22 m.w.N.). Das ist jedenfalls sowohl für das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG (BAG 21.03.2013 – 2 AZR 60/12, Rn. 19) als auch für das Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG (BAG, Urteil vom 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, Rn. 20) der Fall. Das Gesetz liefert jedoch keinen näheren Anhaltspunkt dafür, dass die Zuleitung einer Abschrift des Schreibens im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG eine Verbindung zur Vermeidung von Entlassungen hat (LAG Hamm, Urteil vom 13.01.2015 – 7 Sa 900/14). Insbesondere lässt sich daraus für die Arbeitsagentur nicht ersehen, ob und welche Möglichkeiten der Betriebsrat sieht, die angezeigten Kündigungen doch noch zu vermeiden.

Da die Kammer wegen der Entscheidungserheblichkeit dieser grundsätzlichen Rechtsfrage die Revision zugelassen hat, bleibt abzuwarten, wie das BAG hierüber entscheiden wird. Solange das BAG hierüber noch nicht abschließend entschieden hat, ist zu empfehlen, eine Ablichtung der Mitteilung an den Betriebsrat an die Agentur für Arbeit zuzuleiten, um das Risiko zu vermeiden, dass die Kündigung für den Fall des Unterlassens als unwirksam erachtet wird.

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