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Tarifliche Stichtagsklausel bei Sonderzahlung

Das LAG Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 18.03.2021 (Az.: 5 Sa 284/20) entschieden, dass die Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 GG einer tarifvertraglichen Stichtagsregelung nicht entgegenstehen. Auch insoweit ist der weite Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Rheinland-Pfalz liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien streiten über eine Jahresleistungsprämie. Der Kläger war seit 15.11.2004 bei der Beklagten beschäftigt. Er kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten mit Schreiben vom 08.10.2019 zum 31.01.2020. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag „Jahresleistungsprämie für die deutsche Kautschukindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 11.02.2000“ Anwendung. Dessen § 2 Nr. 1 und 2 regeln:

1. Arbeitnehmer, die bis zum 30. September des laufenden Kalenderjahres eingetreten sind und am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis stehen, erhalten spätestens in der 1. Dezember Hälfte eine Jahresleistungsprämie.

2. Ausgenommen sind die Arbeitnehmer, die sich am Auszahlungstag in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befinden, es sei denn, das Arbeitsverhältnis ist betriebsbedingt gekündigt worden.

Die Beklagte zahlte im Jahr 2019 keine Jahresleistungsprämie an den Kläger aus. Die daraufhin erhobene Zahlungsklage des Klägers blieb erst- und zweitinstanzlich ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des LAG verstoße die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Regelung des § 2 TV-P weder gegen Art. 3 Abs. 1 noch gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

1. Vorliegend könne die tarifvertragliche Regelung ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG Arbeitnehmer vom Anspruch auf eine Jahresleistungsprämie ausnehmen, die sich am Auszahlungstag in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befinden. Die Differenzierung sei durch sachliche Gründe gerechtfertigt, die sich am Zweck der Stichtagsregelung orientieren. Die im TV-P geregelte Jahresleistungsprämie solle sowohl erbrachte Arbeitsleistung vergüten als auch vergangene und zukünftige Betriebstreue belohnen.

Der Kläger könne sich im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er sein Arbeitsverhältnis zu früh – „vor Ingangsetzung der eigentlichen Kündigungsfrist“ – gekündigt habe. Die Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG verlange nicht, im Tarifvertrag Ausnahmen von der Stichtagsregelung für Arbeitnehmer vorzusehen, die ihr Arbeitsverhältnis noch nach dem Auszahlungstag hätten kündigen können. Stichtagsregelungen seien „Typisierungen in der Zeit“. Sie seien Ausdruck einer pauschalisierenden Betrachtung und aus Gründen der Praktikabilität - ungeachtet damit eventuell verbundener Härten im Einzelfall - zur Abgrenzung der begünstigten Personenkreise sachlich gerechtfertigt, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiere.

2. Auch die Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 GG würden der Stichtagsregelung des § 2 TV-P nicht entgegenstehen. Auch insoweit sei der weite Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen. Er sei erst überschritten, wenn die Regelung die berufliche Freiheit der Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich gewährleisteten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) und der daraus folgenden Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien unverhältnismäßig einschränke (vgl. BAG, Urteil vom 03.07.2019 – 10 AZR 300/18 - Rn. 27 mwN).

Zwar werde vorliegend die Berufsfreiheit durch § 2 TV-P beeinträchtigt, weil mit der Regelung die selbstbestimmte Arbeitsplatzaufgabe des Arbeitnehmers verzögert oder verhindert werden soll, jedoch sei der mit der Stichtagsregelung verbundene Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt, wobei die Tarifvertragsparteien den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum auch nicht überschritten hätten. Der Stichtagsregelung liege das berechtigte Interesse der Arbeitgeber zugrunde, die Arbeitnehmer dazu anzuhalten, eine Eigenkündigung zu unterlassen oder jedenfalls aufzuschieben. Sie sei dazu geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Ferner sei die Stichtagsregelung im Ergebnis auch erforderlich und angemessen, so das LAG.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG. Danach bewegt sich eine tarifvertragliche Stichtagsregelung, die Sonderzahlungen an das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses am Ende des Bezugszeitraums knüpft, in den Grenzen der staatlichen Schutzpflicht der Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG und ist zulässig (BAG, Urteil vom 03.07.2019 – 10 AZR 300/18).

Stichtagsregelungen in Tarifverträgen können daher dazu führen, dass eine Sonderzahlung insgesamt entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag endet bzw. sich der Arbeitnehmer in einem bereits gekündigten Arbeitsverhältnis befindet. Eine Ungleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis fortbesteht, rechtfertigt sich durch deren zukünftige Weiterbeschäftigung. Endet das Arbeitsverhältnis jedoch ohnehin und liegt der Grund hierzu in der Sphäre des Arbeitnehmers (z.B. bei einer Eigenkündigung), können die Tarifvertragsparteien in einem solchen Fall die Sonderzahlung ausschließen. Denn die zukünftige Betriebstreue kann in einem solchem Fall nicht mehr erbracht werden.

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