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Lieferservice muss Fahrradkuriere mit Velo und Handy ausrüsten

Fahrradlieferanten (sogenannte „Rider“), die Speisen und Getränke ausliefern und ihre Aufträge über eine Smartphone-App erhalten, haben Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihnen die für die Ausübung ihrer Tätigkeit zwingend erforderlichen Arbeitsmittel zur Verfügung stellt. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 10. November 2021, für das zunächst nur eine Pressemitteilung vorliegt (BAG, Urt. v. 10. November 2021, Az. 5 AZR 334/21).

Sachverhalt

Dem Urteil des BAG vom 10.11.2021 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist für die Beklagte als Fahrradlieferant tätig. Er liefert Speisen und Getränke aus, die Kunden über das Internet bei verschiedenen Restaurants bestellen. Er nutzt für die Lieferfahrten sein eigenes Fahrrad und auch sein eigenes Mobiltelefon. Eine entsprechende Verpflichtung ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag der Parteien, bei dem es sich um einen Formularvertrag handelt. Die Beklagte gewährt den bei ihr tätigen Fahrradlieferanten eine Reparaturgutschrift von 0,25 Euro pro gearbeiteter Stunde, die ausschließlich bei einem von ihr bestimmten Unternehmen eingelöst werden kann. Mit seiner Klage verlangt der Kläger, dass die Beklagte ihm ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes Mobiltelefon für seine vertraglich geschuldete Tätigkeit zur Verfügung stellt. Er stellte sich auf den Standpunkt, die Beklagte sei hierzu verpflichtet, weil es in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Arbeitgebers falle, die notwendigen Arbeitsmittel bereitzustellen. Dieser Grundsatz sei durch die AGB-Regelung im Arbeitsvertrag nicht wirksam abbedungen worden. Die Beklagte beruft sich demgegenüber auf den Inhalt des geschlossenen Arbeitsvertrages. Da die bei ihr als Fahrradlieferanten beschäftigten Arbeitnehmer ohnehin über ein Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon verfügten, würden sie durch die Verwendung ihrer eigenen Geräte nicht bzw. nicht erheblich belastet. Darüber hinaus, so der Lieferdienst, seien etwaige Nachteile durch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, Aufwendungsersatz geltend machen zu können, und – bezüglich des Fahrrads – durch das von ihr gewährte Reparaturbudget ausgeglichen.

Entscheidungsgründe

Nachdem bereits das LAG Hessen der Klage stattgegeben hatte, bliebt die Revision der Beklagten ebenfalls ohne Erfolg. Die in den Allgemeinen Vertragsbedingungen vereinbarte Nutzung des privaten Fahrrads und Mobiltelefons, so der 5. Senat, benachteilige den Kläger unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB und sei daher unwirksam. Die Beklagte werde durch diese Regelung von entsprechenden Anschaffungs- und Betriebskosten entlastet und trage nicht das arbeitgebertypische Risiko, für Verschleiß, Wertverfall, Verlust oder Beschädigung der essentiellen Arbeitsmittel einstehen zu müssen. Dieses liege stattdessen zu Unrecht beim Kläger – ein Widerspruch zu dem gesetzlichen Grundgedanken des Arbeitsverhältnisses, wonach der Arbeitgeber die für die Ausübung der vereinbarten Tätigkeit wesentlichen Arbeitsmittel zu stellen und für deren Funktionsfähigkeit zu sorgen habe. Eine ausreichende Kompensation dieses Nachteils sei nicht erfolgt. Die von Gesetzes wegen bestehende Möglichkeit, über § 670 BGB Aufwendungsersatz verlangen zu können, stelle keine angemessene Kompensation dar. Zudem könnte auch eine Klausel, die nur die ohnehin geltende Rechtslage wiederholt, keinen angemessenen Ausgleich schaffen. Die Höhe des dem Kläger zur Verfügung gestellten Reparaturbudgets orientiere sich nicht an der Fahrleistung, sondern an der damit nur mittelbar zusammenhängenden Arbeitszeit. Der Kläger könne über das Budget auch nicht frei verfügen, sondern es nur bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Unternehmen einlösen. In der Wahl der Werkstatt schließlich sei er ebenfalls nicht frei. Für die Nutzung des Mobiltelefons sei überhaupt kein finanzieller Ausgleich vorgesehen.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des BAG überrascht nicht. Der Kläger kann von der Beklagten nach § 611a Abs. 1 BGB verlangen, dass diese ihm die für die vereinbarte Tätigkeit notwendigen Arbeitsmittel bereitstellt. Auf nachgelagerte Ansprüche wie Aufwendungsersatz oder Annahmeverzugslohn kann er nicht verwiesen werden. Dies dürfte gleichermaßen für alle Fälle gelten, in denen wie hier keine angemessene finanzielle Kompensation für die Nutzung so genannter „Own Devices“ im Arbeitsvertrag vereinbart wird. Die Reparaturgutschrift allein erachtete das BAG zu Recht als unzureichend – ein wichtiges Signal für eine Branche, in der typischerweise ohnehin nur knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn vergütet wird.

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