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Temporäre betriebliche Mitbestimmung 4.0: Von der Ministererklärung zum Gesetz – geplante Änderungen für die „digitale Mitbestimmung“

Die betriebliche Mitbestimmung und die damit zusammenhängenden Stimmbildung durch die Gremien mittels Video- oder Telefonkonferenzen scheitert in den Unternehmen derzeit nicht an den technischen Möglichkeiten, sondern einer gesetzlichen Grundlage. Die Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung sehen die Möglichkeit der Abhaltung digitaler Sitzungen und Entscheidungsfindung vor. In Zeiten der durch die Coronakrise bedingten Kontaktbeschränkungen stellt dies ein Hindernis in der Arbeit der Arbeitnehmervertretungen dar.

Ministererklärung vom 22.03.2020

Diesen Umstand bewog den Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, am 22.03.2020 im Hinblick auf die betriebliche Mitbestimmung zu einer außergewöhnlichen Maßnahme. Mittels „Ministererklärung zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit der Betriebsräte auf Covid-19“ stellte der Bundesminister klar, dass Normalfall sei, dass die Betriebsratsmitglieder zu einer Sitzung zusammenkommen und die Nutzung von Video- oder Telefonkonferenzen nicht explizit im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen sei. Von einem solchen Normalfall sei jedoch seit der Coronakrise nicht zu sprechen. Es handele sich um eine Ausnahmesituation.

Der Bundesminister stellte klar, dass in der aktuellen Lage, wenn beispielsweise die Teilnahme an einer Präsenzsitzung zu Gefahren für das Leben oder der Gesundheit der Betriebsratsmitglieder führe oder wegen behördlicher Anordnung nicht möglich sei, auch die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz einschließlich onlinegestützter Anwendungen wie WebEx-Meetings oder Skype zulässig sei. Dies gelte sowohl für die Zuschaltung einzelner Betriebsratsmitglieder als auch eine virtuelle Betriebsratssitzung. Der Bundesminister hob hervor, dass die Beschlüsse, die in einer solchen Sitzung gefasst würden, nach Auffassung des Ministeriums wirksam seien und die sonst übliche Bestätigung der Anwesenheit mittels handschriftlich unterzeichneter Anwesenheitsliste in einem solchen Fall auch durch Textform, zum Beispiel per E-Mail, bestätigt werden könne.

Die Ministererklärung wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Denn ein förmliches Gesetz kann eine Ministererklärung nicht ersetzen und daher auch eine Bindungswirkung nicht bewirken.

Gesetzesinitiative zur Ermöglichung betrieblicher Mitbestimmung in digitaler Form

Diesem Missstand soll nun – zumindest derzeit temporär – durch eine Gesetzesinitiative der Fraktion CDU/CSU und SPD abgeholfen werden. Dies zeigt die Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und SPD zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel usw. Entwicklung der Ausbildungsförderung BT-Drucksache 19/17740 (Ausschussdrucksache 19(11)581 v. 9. April 2020).

Das Bundeskabinett stimmte der Vorlage, die eine zeitlich befristete Ermöglichung von Sitzungen und Beschlussfassung von Arbeitnehmervertretungen mittels Video- und Telefonkonferenzen zulässt, am 08.04.2020 zu.

Der bereits vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung (BT-Drucksache 19/17740) soll im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens durch den Änderungsantrag ergänzt werden.

Neben der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes sollen weitere Regelungen der betrieblichen Mitbestimmung angepasst werden. Die Abstimmung und Beschlussfassung auf digitalem Wege wäre dann nicht nur für den Betriebsrat, sondern auch den Sprecherausschuss, den Europäischen Betriebsrat sowie den SE-Betriebsrat oder das Besondere Verhandlungsgremium bei der SE möglich, sofern „sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können“. Auch Verhandlungen des Wirtschaftsausschusses sowie vor der Einigungsstelle sollen per Video- und Telefonkonferenz durchgeführt werden können. Die Anpassungen sollen rückwirkend zum 01.03.2020 in Kraft treten und bis zum 31.12.2020 befristet werden.

Es bleibt zu hoffen, dass die durch die Coronakrise bedingte Umstellung auf eine temporäre betriebliche Mitbestimmung 4.0 den Weg zur dauerhaften Ermöglichung digitalen Austauschs und Stimmbildung der Arbeitnehmervertretungen ebnet. Es wäre eine zeitgemäße Ergänzung bestehender Rechtsgrundlagen.

Die geplanten Regelungen im Einzelnen

Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes

§ 129: Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie

(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-, Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-, Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen.

(2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend.

(3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audio-visueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.

(4) Die Sonderregelungen nach den Absätzen 1 bis 3 treten mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

Änderung des Sprecherausschussgesetzes

§ 39 des Sprecherausschussgesetzes (...) wird wie folgt gefasst:

§ 39 Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie

(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Sprecherausschusses, des Unternehmenssprecherausschusses, des Gesamtsprecherausschusses und des Konzernsprecherausschusses sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 13 Absatz 3 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen.

(2) Eine Versammlung nach § 15 kann mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.

(3) Die Sonderregelungen nach den Absätzen 1 und 2 treten mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

Änderung des Europäische Betriebsräte-Gesetzes

Nach § 41a des Europäische Betriebsräte-Gesetzes (...) wird folgender § 41b eingefügt:

§ 41b Sonderregelung aus Anlass der Covid-19-Pandemie

(1) Die Teilnahme an Sitzungen des besonderen Verhandlungsgremiums, eines Europäischen Betriebsrats oder einer Arbeitnehmervertretung im Sinne des § 19 sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.

(2) Diese Sonderregelung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

Änderung des SE-Beteiligungsgesetzes

Das SE-Beteiligungsgesetz (...) wird wie folgt geändert:

§ 48 Sonderregelung aus Anlass der Covid-19-Pandemie

(1) Im Rahmen der Unterrichtung und Anhörung können die Teilnahme an Sitzungen eines SE-Betriebsrats oder einer Arbeitnehmervertretung nach § 21 Absatz 2 sowie die Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.

(2) Diese Sonderregelung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

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