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Rückwirkende Befreiung des Syndici von der Versicherungspflicht in der gRV

Das BSG hat am 26.02.2020 (B 5 RE 2/19 R) entschieden, dass nach der Übergangsvorschrift des § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI zwar eine bereits erteilte Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, hingegen nicht zusätzlich das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Zeitraum der Rückwirkung, also das Erfordernis einer Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk voraussetzt.

Sachverhalt

Der Kläger war zunächst als Rechtsanwalt zugelassen und bei der Beigeladenen zu 2. als Geldwäschebeauftragter beschäftigt; für diese Tätigkeit wurde er von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Am 01.07.2014 begann er eine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. als "Compliance Generalist Senior Professional". Nach den Senatsurteilen vom 03.04.2014 (B 5 RE 9/14 R u.a.) verzichtete der Kläger auf seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und setzte ab dem 24.09.2014 seine Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltsversorgung (Beigeladene zu 3.) als freiwilliges Mitglied fort. Am 16.02.2016 nahm der Kläger erneut bei der Beigeladenen zu 2. eine Beschäftigung auf, und zwar als "Syndikusrechtsanwalt, Consultant Compliance Legal & Compliance"; die Rechtsanwaltskammer ließ ihn als Syndikusrechtsanwalt zu.

Der beklagte Rentenversicherungsträger befreite den Kläger für dessen Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt bei der Beigeladenen zu 2. von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Befreiung erfolgte zunächst für die Zeit ab Aushändigung der Urkunde über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt (30.06.2016). Auf Antrag des Klägers erteilte die Beklagte ihm rückwirkend auch eine Befreiung für die vorangegangene Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. für die Zeit vom 01.07.2014 bis zum 23.09.2014. Eine Befreiung für diese Beschäftigung für die Zeit ab 24.09.2014 und ebenso für die Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2. bereits ab 16.02.2016 lehnte die Beklagte jedoch ab, weil der Kläger nicht Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltsversorgung gewesen sei. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat die Klage vor dem SG teilweise Erfolg gehabt. Das SG hat einen Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach der Übergangsvorschrift in § 231 Abs. 4b SGB VI auch im Zeitraum vom 16.02.2016 bis 29.06.2016 bejaht, da für eine Rückwirkung der Befreiung nach der Regelung in Satz 1 der genannten Vorschrift eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk nicht erforderlich sei. Hingegen scheitere eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht in einer vorangegangenen Beschäftigung (Satz 2 der Vorschrift) bei der Beigeladenen zu 1. im Zeitraum ab 24.09.2014 daran, dass der Kläger in jener Zeit nur freiwilliges Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks gewesen sei. Das LSG hat die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen diese Entscheidung zurückgewiesen.

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI. Es sei in allen Fällen der Rückwirkung einer Befreiung erforderlich, dass während der fraglichen Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestanden habe. Der Kläger macht mit seiner Revision geltend, dass auch im Rahmen des Satzes 2 dieser Vorschrift eine freiwillige Mitgliedschaft im Versorgungswerk ausreichend sei.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen von Kläger und Beklagter hatten keinen Erfolg. Nachdem die Beklagte den Kläger für die seit dem 16.02.2016 ausgeübte Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2. in der Zwischenzeit bereits ab dem 21.03.2016, d.h. ab dem Zugang des Antrags auf Zulassung als Syndikusanwalt bei der Rechtsanwaltskammer, von der Versicherungspflicht befreit hat, war hinsichtlich der Rückwirkung der Befreiung für diese Beschäftigung nur noch über den Zeitraum vom 16.02.2016 bis 20.03.2016 zu entscheiden. Der Kläger ist auch für diese Zeit von der Versicherungspflicht zu befreien. Die Übergangsvorschrift des § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI sieht vor, dass eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusanwalt, die unter Berücksichtigung der Neufassung der Bundesrechtsanwaltsordnung zum 01.01.2016 erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn der Beschäftigung an wirkt, für die die Befreiung erteilt wird. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger ist als Syndikusanwalt für die bei der Beigeladenen zu 2 ausgeübte Beschäftigung von der Versicherungspflicht befreit worden. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung wurde auch fristgerecht gestellt. Das Erfordernis einer Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk ist der Übergangsvorschrift nicht zu entnehmen. § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI setzt eine bereits erteilte Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI voraus, nicht aber zusätzlich das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Zeitraum der Rückwirkung.

Für den Zeitraum vom 24.09.2014 bis 15.02.2016 in der davor ausgeübten Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1 besteht kein Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht. Nach § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI wirkt die Befreiung vom Beginn davor liegender Beschäftigungen, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Daran fehlte es hier. Der Kläger war ab dem 24.09.2014 nicht mehr Pflichtmitglied in einem Versorgungswerk, weil er zu diesem Zeitpunkt keine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mehr hatte. Es bestand im Sinne der Gesetzesmaterialien auch nicht etwa eine nur formale freiwillige Mitgliedschaft, die die Pflichtmitgliedschaft in einem anderen, regional zuständigen Versorgungswerk ersetzte. Die Sonderregelung des § 231 Abs. 4c SGB VI, die unter bestimmten Voraussetzungen für Rechtsanwälte, die auf ihre Zulassung nach dem 03.04.2014 verzichtet haben, eine Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk fingiert, ist hier nicht anwendbar. Diese Fiktion betrifft nur die erstmalige Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers aber nicht Fälle des § 231 Abs. 4b Satz 2 SGB VI. Eine "Kombination" von § 231 Abs. 4b Satz 2 und § 231 Abs. 4c SGB VI ist wegen der unterschiedlichen Regelungsbereiche nicht möglich.

Hinweise für die Praxis

Das BSG beantwortet mit der Entscheidung eine für nicht wenige Syndikusanwälte und deren Rentenbiografie bedeutsame Frage. Die Rückwirkungsfiktion des § 231 Abs. 4 b SGB VI ist nicht davon abhängig, dass der Syndikus ist diesem Zeitraum Pflichtmitglied in einem Versorgungswerk war. Vielmehr genügt es, wenn der Syndikus freiwilliges Mitglied in dem Versorgungswerk war. Indes muss der Unternehmensjurist zumindest nach Maßgabe des § 6 SBG VI befreit worden sein. Der „Kombination“ der Rückwirkungstatbestände in den Absätzen 4b und 4c erteilt das BSG damit eine deutliche Absage. Nach § 231 Abs. 4c SGB VI wirkt die Befreiung auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Nach Satz 2 muss indes der Unternehmensjurist auch als Syndikusrechtsanwalt zugelassen sein und als freiwilliges Mitglied in einem Versorgungswerk einkommensbezogene Beiträge zahlen. Eben dies hatte der Kläger des Verfahrens nicht getan, sondern vielmehr für den streitigen Zeitraum seine Zulassung zurückgegeben.

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