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Wahrung der Identität einer wirtschaftlichen Einheit bei Betriebsübergang

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 27.02.2020 (C-298/18) entschieden, dass ein Betriebsübergang auch dann vorliegen kann, wenn lediglich Personal und keine sonstigen wesentlichen Betriebsmittel übergehen.

Sachverhalt

Ein Busverkehrsunternehmen B betrieb im Auftrag eines Landkreises seit dem Jahr 2008 den öffentlichen Busnahverkehrsdienst des Landkreises. Der Landkreis schrieb im September 2016 Verkehrsdienstleistungen neu aus. Im Rahmen der Ausschreibung gab das Busunternehmen kein Angebot ab, da es seiner Ansicht nach kein wirtschaftlich tragbares Angebot unterbreiten könne. Es stellte den Geschäftsbetrieb ein und kündigte seinen Arbeitnehmern. Im Januar 2017 schloss es sodann ein Interessenausgleich samt Sozialplan mit seinem Betriebsrat. Der Sozialplan sah vor, dass Arbeitnehmer Abfindungen bekommen, wenn sie kein Übernahmeangebot von dem neuen Auftragnehmer erhalten oder wenn sie bei Neueinstellung durch diesen finanzielle Verluste erleiden. Im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens erhielt die Kraftverkehrsgesellschaft K den Auftrag für die öffentlichen Busverkehrsdienste ab dem 01.08.2017. Zur Erbringung dieser Dienste gründete sie die 100%ige Tochter T. Diese stellte ein überwiegenden Teil der Busfahrer und ein Teil der Führungskräfte von B ein. Busse, Betriebsstätten und sonstigen Betriebsanlagen wurden nicht übernommen.

Ein von B mit Schreiben vom 31.08.2017 gekündigter Busfahrer und Vorarbeiter in Vollzeit X ist seit dem 01.09.2017 bei T als Busfahrer beschäftigt. T erkannte seine frühen Beschäftigungszeiten bei B nicht an und stufte ihn daher in die Eingangsstufe des anwendbaren Tarifvertrags ein. X wehrt sich im Rahmen des vor dem Arbeitsgericht Cottbus anhängigen Rechtsstreits gegen seine Kündigung durch B und macht geltend, dass T bei seiner Einstufung seine Betriebszugehörigkeit bei B zu berücksichtigen habe. X und sein ehemaliger Arbeitgeber B sind der Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis des X im Rahmen eines Unternehmensübergangs im Sinne der Richtlinie RL 2001/23/EG auf T übergegangen sei. Neben X wehrt sich auch ein weiterer Arbeitnehmer Y, seit November 1979 bei B als Busfahrer und Vorarbeiter in Vollzeit beschäftigt, gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung zum 31.08.2017. Y wurde von T nicht eingestellt. In diesem Zusammenhang fordert er hilfsweise die Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe des von B aufgestellten Sozialplans. B wiederum macht widerklagweise geltend, dass der Arbeitsvertrag von Y aufgrund des Unternehmensübergangs auf T übergegangen und sie daher nicht zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet sei.

T ist der Ansicht, dass kein Unternehmensübergang im Sinne Art. 1 Abs. 1 RL 2001/23/EG gegeben sei, da es hierzu am Übergang materieller Betriebsmittel, insbesondere der Busse, fehle.

B macht geltend, die Übernahme der Busse durch den neuen Auftragnehmer sei in Anbetracht der geltenden technischen und umweltrelevanten Normen ausgeschlossen. Nach den Ausschreibungsvorgaben dürften die Busse nämlich ein maximales Alter von 15 Jahren nicht überschreiten. Sie müssten noch zumindest die Umweltschutznorm „Euro 6“ erfüllen. Beides sei nicht gegeben, darüber hinaus genügten die Busse nicht den Anforderungen an die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen. Zudem stellten die Busfahrer aufgrund ihres Know-hows und ihrer Netzkenntnisse die wirtschaftliche Einheit dar.

Das Arbeitsgericht Cottbus legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Übergabe des Betriebs vom Buslinien von einem Busunternehmen auf ein anderes im Rahmen eines Vergabeverfahrens einen Betriebsübergang darstelle, auch wenn keine nennenswerten Betriebsmittel, insbesondere keine Busse zwischen den beiden genannten Unternehmen, sondern lediglich ein wesentlicher Teil der Belegschaft übertragen worden seien.

Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des EuGH sei für einen Betriebsübergang entscheidend, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahre. Dies sei dann zu bejahen, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen werde. Für die Feststellung, ob diese Voraussetzung erfüllt sei, müssten sämtliche dem betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehörten die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der materiellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Es sei jedoch zu beachten, dass diese Umstände nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung seien und deshalb nicht isoliert beurteilt werden könnten. Den verschiedenen Kriterien komme insofern je nach ausgeübter Tätigkeit und je nach Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. Im vorliegenden Fall sei trotz des Umstandes, dass keine materiellen Betriebsmittel von erheblicher Bedeutung für die auszuübende Tätigkeit übergegangen seien nicht auszuschließen, dass ein Unternehmensübergang im Sinne der RL vorgelegen habe, da sich dieser Umstand aus rechtlichen, umweltrelevanten oder technischen Vorgaben ergebe. Insofern sei es Sache des vorlegenden Gerichts festzustellen, ob im konkreten Sachverhalt tatsächliche Faktoren den Schluss zuließen, dass die betreffende Einheit die Realität bewahrt habe und damit ein Unternehmensübergang vorliege. Insofern sei darauf hinzuweisen, dass eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sei, eine wirtschaftliche Einheit darstellen könne und in diesem Fall eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren könne, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführe, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernehme, die sein Vorgänger gezielt für diese Tätigkeit eingesetzt hatte. In diesem Fall erwerbe der neue Unternehmensinhaber eine organisierte Gesamtheit von Faktoren, die ihm die Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmte Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens auf Dauer erlaube. Könnten daher wesentliche Betriebsmittel wegen rechtlicher umweltrelevanter und technischer Vorgaben des Auftraggebers nicht übernommen werden, stehe dies der Annahme der Tätigkeit als Unternehmensübergang nicht notwendigerweise entgegen.

Hinweise für die Praxis

Ob das ArbG Cottbus auf der Grundlage der Entscheidung des EuGH zu dem Schluss gelangt, dass ein Betriebsübergang vorlag, ist noch offen, kann jedoch wohl aufgrund der deutlichen Hinweise des EuGH erwartet werden. Die Entscheidung macht klar, dass es einer genauen Betrachtung der Umstände bedarf, um festzustellen, ob ein Betriebsübergang vorgelegen hat oder nicht. Das BAG kam in einem ähnlich gelagerten in dem Rettungspersonal zwar überging, Rettungsfahrzeuge hingegen nicht noch zu einem anderen Ergebnis (BAG 25.08.2016 - 8 AZR 53/15) als der EuGH. Ob diese Rechtsprechung so Bestand haben wird, muss zumindest hinterfragt werden.

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