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Gerichtliche Bestellung des Wahlvorstands nach vertagter Betriebsversammlung

Der Wahlvorstand für eine Betriebsratswahl kann nach § 17 Abs. 4 BetrVG gerichtlich bestellt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Teilnehmenden der Betriebsversammlung mehrheitlich eine Vertagung dieser Versammlung mit der Folge beschließen, dass kein erster Wahlgang zustande kommt. Das hat das LAG Schleswig-Holstein mit Beschluss vom 22.01.2020 (Az.: 3 TaBV 23/19) entschieden.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes zur Durchführung einer Betriebsratswahl.

Ein Betriebsrat ist bei der Arbeitgeberin nicht gebildet. Drei wahlberechtigte Arbeitnehmer luden für den 18.04.2019 zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes ein. Während der Betriebsversammlung diskutierten die teilnehmenden Personen kontrovers und stimmten sodann formlos mehrheitlich durch Handzeichen – ohne konkrete Verabredung eines weiteren Termins – für eine Vertagung der Betriebsversammlung. Die drei einladenden Arbeitnehmer widersprachen der Vertagung nicht.

In der Folge haben sich die drei einladenden Arbeitnehmer an das Arbeitsgericht gewandt und die Bestellung des Wahlvorstands durch das Gericht beantragt. Sie haben geltend gemacht, dass sie auf die vorherige Durchführung einer zweiten Wahlversammlung nicht verwiesen werden könnten, da durch die Anrufung des Arbeitsgerichts die vorrangige Zuständigkeit der Betriebsversammlung zur Bestellung des Wahlvorstands nicht beseitigt werde.

Das LAG hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen und die Bestellung des Wahlvorstands durch das Arbeitsgericht bestätigt.

Entscheidungsgründe

Das LAG befand, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Einsetzung des Wahlvorstandes nach § 17 Abs. 4 BetrVG vorliegen würden.

Der gerichtlichen Einsetzung stehe vorliegend nicht entgegen, dass die Teilnehmenden auf der Betriebsversammlung mehrheitlich die Durchführung der Wahl vertagt hätten. Aus § 17 Abs. 4 BetrVG folge nicht, dass in einem solchen Fall von den Initiatoren der Betriebsversammlung vor Anrufung des Gerichts zwingend eine weitere Betriebsversammlung einzuberufen und durchzuführen sei.

  • Die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands könne nach § 17 Abs. 4 BetrVG nur erfolgen, wenn es den Arbeitnehmern des Betriebs nicht gelungen sei, auf einer Wahlversammlung, zu der ordnungsgemäß eingeladen wurde, einen Wahlvorstand zu wählen. Dadurch werde der Vorrang der Belegschaft des Betriebs gesichert, selbst einen Wahlvorstand nach ihren Vorstellungen einzusetzen. Nach § 17 Abs. 3 BetrVG solle allen betroffenen Arbeitnehmern die Möglichkeit eröffnet werden, ihre eigenen kollektiven Interessen durch eine Beteiligung an der Initiative zur Bildung eines Betriebsrats selbst wahrzunehmen.
  •  Vorliegend habe die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand gewählt, habe jedoch die Chance dazu gehabt. Durch den letztendlich mehrheitlich gefassten Beschluss, die Versammlung ohne Festlegung eines konkreten „Fortsetzungs“termins, zu „vertagen“, sei die ordnungsgemäß einberufene Wahlversammlung objektiv erfolglos geblieben. Das sei ausreichend, denn auf die Gründe der Nichtwahl eines Wahlvorstandes komme es nach dem Willen des Gesetzgebers nicht an.
  • Ferner bleibe es den Arbeitnehmern des Betriebs unbenommen, bis zur Rechtskraft der durch das Arbeitsgericht erfolgten Bestellung eines Wahlvorstands selbst in einer weiteren Betriebsversammlung einen Wahlvorstand zu wählen. Durch diese Subsidiarität seien die Rechte der Belegschaft auf Selbstorganisation weiterhin geschützt.

Hinweise für die Praxis

In betriebsratslosen Betrieben erfolgt die Bestellung des Wahlvorstands nach den Regelungen des § 17 BetrVG, die eine bestimmte Reihenfolge vorsehen: Die Kompetenz zur Bestellung des Wahlvorstands steht demnach vorrangig dem Gesamtbetriebsrat zu oder, falls ein solcher nicht besteht, dem Konzernbetriebsrat. Für den Fall, dass weder Gesamtbetriebsrat noch Konzernbetriebsrat bestehen, oder zwar bestehen aber nicht tätig werden, wird der Wahlvorstand in einer Betriebsversammlung durch die Arbeitnehmer des Betriebs bestimmt. Erst wenn trotz Einladung keine Betriebsversammlung stattfindet oder dort kein Wahlvorstand gewählt wird, kann das Arbeitsgericht den Wahlvorstand auf Antrag von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern bestellen.

Die gesetzlich vorgegebene Reihenfolge führt dazu, dass auch Minderheiten gegen den Willen der Belegschaftsmehrheit die Bestellung des Wahlvorstands und damit die Durchführung einer Betriebsratswahl durchsetzen können.

Die Bestellung des Wahlvorstands durch das Arbeitsgericht nach § 17 Abs. 4 BetrVG setzt zwar voraus, dass der Versuch, den Wahlvorstand in einer Betriebsversammlung zu wählen, gescheitert ist. Aus welchen Gründen die Wahl eines Wahlvorstands auf der Wahlversammlung unterblieb, ist hierbei jedoch unerheblich (BAG, Beschluss vom 20.02.2019 – 7 ABR 40/17, Rz. 36). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch folgerichtig, dass das LAG Schleswig-Holstein die Anrufung des Arbeitsgerichts nach einer vertagten Wahlversammlung für zulässig erachtet hat. Denn damit ist die Wahlversammlung letztlich objektiv erfolglos geblieben, was nach dem gesetzgeberischen Willen ausreichend ist.

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