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Der BGH stärkt die Rolle des Prokuristen: Erweiterung der Prozessfähigkeit einer Gesellschaft ohne gesetzlichen Vertreter

Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer, ist sie dem Grunde nach nicht prozessfähig. Etwas anderes kann nach der neuen Rechtsprechung des BGH jedoch dann gelten, wenn ein Prokurist – statt des Geschäftsführers – unter bestimmten Voraussetzungen wirksam Prozessvollmacht an einen zur Prozessführung befähigten Dritten erteilt hat.

Hintergrund

Die klagende GmbH & Co. KG („Klägerin“) bestand aus einer Komplementär-GmbH und einem Kommanditisten, der zugleich der einzige Geschäftsführer der Komplementär-GmbH war. Die Klägerin erteilte ihrer Prokuristin im Jahre 2009 Einzelprokura. Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH – zugleich einziger Kommanditist – verstarb im Jahre 2010, so dass die Klägerin ab diesem Zeitpunkt ohne gesetzlichen Vertreter war.

Die Prokuristin erteilte einem Rechtsanwalt Prozessvollmacht und beauftragte ihn, im Namen der Klägerin Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche Klageabweisung einzulegen. Das Rechtsmittel wurde als unzulässig verworfen, da die Klägerin aufgrund des Todes des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH i) weder bei Erteilung der Prozessvollmacht, ii) noch im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtmittels mangels gesetzlicher Vertretung prozessfähig gewesen sei. Hiergegen erhob die Klägerin Rechtsbeschwerde zum BGH.

Der Beschluss des BGH vom 06.02.2019, Az. VII ZB 78/18

Die Klägerin hatte mit ihrer Rechtsbeschwerde Erfolg – der BGH hob den Beschluss auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.

Zwar sei die Klägerin im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung nicht gesetzlich vertreten und damit nicht prozessfähig gewesen. Dies führe jedoch nicht zur Unzulässigkeit der Berufung, da der Prokuristin, die die Prozessvollmacht und den Auftrag zur Einlegung der Berufung erteilte, noch vor dem Tod des Geschäftsführers wirksam Einzelprokura erteilt worden war.

Für die zulässige Einlegung eines Rechtsmittels durch eine Gesellschaft ohne gesetzlichen Vertreter sei es grundsätzlich ausreichend, wenn diese noch als prozessfähige Gesellschaft einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt und Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels erteilt habe. Diese Vollmacht werde gemäß § 86 ZPO durch den Verlust der Prozessfähigkeit des Vollmachtgebers nicht berührt.

Entsprechendes gelte, wenn eine partei- und prozessfähige Handelsgesellschaft eine Prokura erteilt habe, da diese die Vollmacht zur Prozessführung für alle Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf den Betrieb des Handelsgeschäfts mit umfasse. Die Prokura ermächtige daher ihrerseits zur Erteilung einer Prozessvollmacht, sofern es sich um eine Streitigkeit handle, die der Prokurist wegen mangelnder Postulationsfähigkeit nicht selbst führen dürfe.

Die Prokuristin sei daher aufgrund der wirksam erteilten Einzelprokura unbeschadet der Führungslosigkeit der Klägerin befugt gewesen, dem Rechtsanwalt Prozessvollmacht zu erteilen und diesen mit Einlegung der Berufung zu beauftragen, da ihr Prokura zu einem Zeitpunkt erteilt wurde, in welchem die Klägerin noch prozessfähig gewesen ist.

Anmerkung

Die Entscheidung des BGH  führt dazu, dass eine Gesellschaft ohne gesetzlichen Vertreter noch als prozessfähig angesehen wird, wenn ein wirksam bestellter Prokurist eine Prozessvollmacht erteilt. Mit anderen Worten: die Prokura wird wie eine Prozessvollmacht behandelt und gleichermaßen rechtlich geschützt.

Die Rolle des Prokuristen sowie die Bedeutung der Prokura werden durch diese Rechtsprechung erneut hervorgehoben und gestärkt. Wenn es in der Praxis noch nicht gewünscht ist, einen zweiten vertretungsberechtigten Geschäftsführer zu bestellen, kann auch die Bestellung eines Prokuristen weitgehend die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicherstellen.

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