Zum Verschenken oder Selberlesen: Büchertipps von FGvW
Die weihnachtliche Ruhe kann man sich mit dem Genuss von gedruckten Zeilen sehr bewusst machen. Die nachfolgende Auswahl befasst sich daher viel mit der Ruhe und der Zeit – in unterschiedlichsten Facetten. Viel Vergnügen beim Durchstöbern und Lesen.
Alle Zeit der Welt
Thomas Girst, erschienen im Carl Hanser Verlag
Der Titel so einfach wie der Einband griffig und schön. Alexander Girst, Leiter des Kulturengagements der BMW-Group, hat ein wunderbares Buch geschrieben über all das, was uns in unseren Zeiten heute so oft fehlt. Er schreibt über Ereignisse, Erfindungen und Leistungen, für welche die Urheber unglaublich viel Zeit und Muße mitbrachten. Es ist gedrucktes Bild der Entschleunigung, ohne zu langweilen. Die einzelnen Kapitel reichen für kurze Zugfahrten ebenso wie hintereinander bei einem Whisky im heimischen Sessel. Und für die Diskussion mit Kindern und Mobil-Experten ist alleine die Einleitung Freude zum Anregen der Gedanken: “Informationen sind jederzeit verfügbar, aber Wissen muss man sich hart erarbeiten.”
Lob des Müßiggangs
von Bertrand Russell, erschienen im dtv
Von Querdenkern erwartet man nicht, dass sie sich in unsere Richtung äußern. Deshalb muss man dreimal schlucken, wenn der Philosoph und Nobelpreisträger schreibt, dass in der Welt ohnehin zu viel gearbeitet wird und diese Arbeit an sich schon nicht vortrefflich oder eine Tugend sei. Aber in allen einzelnen Kapiteln werden soziologische Gedanken über Architektur, Politik, die Jugend, die moderne Gleichförmigkeit und – natürlich – die Insekten zum Besten gegeben. Die Thesen von Russell animieren – zum Nachdenken und manchmal auch zum Aufregen.
Eine Familie in Deutschland (Am Ende die Hoffnung, Band 2)
von Peter Prange, erschienen bei FISCHER Scherz
Wer schwere Kost leicht lesbar haben möchte, wer Romane liebt, die immer wieder historische Realität berühren, wer über Personen der Geschichte nochmals neu nachdenken möchte und wer ein Stück deutscher Industriegeschichte neu (oder erstmals) entdecken mag, der muss zugreifen – und Ausdauer haben. Denn zwei Buchbände à über 800 Seiten warten, Band 2 ist jetzt erschienen und setzt die Geschichte fort, die in Fallersleben nahe der Wolfsburg beginnt. Und 1933 beginnt dort, sich alles zu ändern im ländlichen Idyll des Zuckerbarons Ising und seiner Familie. Und in dieser Geschichte trifft man sie alle, politisch und wirtschaftlich, die Porsches und die Piechs, die Grafen Schulenburg (auf der Wolfsburg), den Juristen Carl Schmitt, die Filmemacherin Leni Riefenstahl und viele Schurken und Verbrecher bei SS, SA oder anderen NS-Organisationen. Die Familie zerstreut sich, die Liebe kommt und verfällt, und es ist kein Provinzroman, denn der Leser wird auf eine Reise mitgenommen durch die Zeit, über Berlin, die Niederlande, Polen, Russland, Paris. Aber am meisten lernt man in und um die Wolfsburger Provinz. Und der Titel bereits verrät das Ende, welches wir zweifellos erahnten.
Schlimmer geht immer
von , erschienen im NG Buchverlag GmbH
Die guten Vorsätze für das kommende Jahr kündigen sich schon wieder an. Wir werden alles besser, klüger, schlanker, sportlicher machen – um am Ende zu erkennen, dass es doch nicht so gekommen ist. Und manch anderes war auch schlechter. Zum Trost hilft dann dieses chronologische Büchlein. Denn für jeden einzelnen Tag bekommt der Leser kurzweilig 365 Ereignisse kurzweilig dargestellt, was in der Geschichte bei einzelnen Personen so alles schief gelaufen ist. Von der Antike bis in die Neuzeit. So doof, wie manches gelaufen ist, können wir nur ein gutes neues Jahr wünschen.
Die zwei Päpste
von Anthony McCarten, erschienen bei Diogenes
Bei Netflix verfilmt und jüngst veröffentlicht, ist dieses Buch die Grundlage. Viel fundierter und dennoch immer noch gut lesbar, was man bei dem Thema nicht unbedingt erwarten kann. Es werden nicht nur zwei Leben dargestellt, die unterschiedlicher kaum sein können. Es werden auch zwei Welten dargestellt, das klassische Europa und Südamerika. Gesellschaftliche und politische Konflikte werden an der Leine des katholischen Glaubens und der persönlichen Biographie von zwei Päpsten dargestellt. Eine große Kunst – McCarten stellt dar, aber er bewertet nicht. Kein einfaches Unterfangen.
10. Dezember 2019