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Außerordentliche Kündigung wegen manipulierter Arbeitszeiterfassung und vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil vom 30.07.2019 (Az.: 5 Sa 246/18) entschieden, dass eine schwerwiegende Verletzung der Pflicht zur korrekten Erfassung der Arbeitszeit und die Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit die außerordentliche Kündigung eines annähernd 40 Jahre bestehenden, bisher unbelasteten Arbeitsverhältnisses rechtfertigen können.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der 1961 geborene, verheiratete Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin seit 1978 zuletzt als Zerspanungsmechaniker im Drei-Schicht-Betrieb tätig und Mitglied des Betriebsrates.

An einem Donnerstagabend im Juni 2018 wurde der Kläger während der Spätschicht, die um 14:00 Uhr begann und um 22:00 Uhr endete, gegen 19:40 Uhr von der Personalleiterin der Beklagten im „Haus der Jugend“ in A-Stadt angetroffen. Kurz darauf, um 20:05 Uhr, checkte ein anderer Mitarbeiter den Kläger mit dessen Mitarbeiterausweis im Zeiterfassungssystem aus.

Am nächsten Tag meldete sich der Kläger beim Fertigungsbereichsleiter für die um 14:00 Uhr beginnende Spätschicht telefonisch arbeitsunfähig. Am Abend desselben Tages wurde der Kläger gegen 21:45 Uhr in Festkleidung erneut am „Haus der Jugend“ in A-Stadt gesehen.

Am darauf folgenden Montag wurde der Kläger von der Beklagten zu den Vorwürfen des Arbeitszeitbetrugs und der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit angehört. Der Kläger verwies darauf, sich wegen der angespannten Personalsituation nicht getraut zu haben, für den 85. Geburtstag seines Vaters kurzfristig einen Urlaubstag zu beantragen.

Nachdem der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung schriftlich zustimmte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich. Daraufhin erhob der Kläger Kündigungsschutzklage.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt und führte zur Begründung aus, dass die schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Klägers an sich geeignet seien, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Zudem sei eine Abmahnung bei derart schweren Pflichtverletzungen entbehrlich. Da der Kläger jedoch annähernd 40 Jahre beanstandungsfrei gearbeitet und sein Fehlverhalten unmittelbar eingeräumt habe, bestehe keine Wiederholungsgefahr, sodass ausnahmsweise eine Abmahnung erforderlich gewesen sei.

Das LAG hob das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten auf und wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe

Das LAG befand, dass die außerordentliche Kündigung des Klägers wirksam gewesen sei.

Eine jahrzehntelange unbeanstandete Tätigkeit verschaffe dem Kläger jedenfalls keine Sonderstellung, in der er sich grobe Pflichtverletzungen zumindest einmalig erlauben könne. Die langjährige Tätigkeit begründe zwar ein hohes Maß an Vertrauen darauf, dass der Kläger bereit ist, die Interessen seines Arbeitgebers zu wahren. Dieses Vertrauen habe er jedoch durch mehrfache Pflichtverletzungen massiv enttäuscht.

Der Kläger habe sich zudem über die Interessen des Kollegen hinweggesetzt, den er beauftragt hat, für ihn die Arbeitszeit in der Stempeluhr falsch zu erfassen. Mit diesem Auftrag an den Kollegen habe er jedenfalls das Arbeitsverhältnis des anderen Mitarbeiters erheblich gefährdet und einen Grund für dessen Kündigung geschaffen, wenn auch dieser der Bitte des Klägers nicht hätte folgen müssen.

Eine Wiederholungsgefahr sei trotz der Reue des Klägers auch nicht auszuschließen. Denn die Beklagte könne keinesfalls sicher sein, dass sich der Kläger im Falle einer erneuten persönlichen Zwangslage nicht wiederum zugunsten der privaten Belange entscheidet, sofern er davon ausgehen kann, nicht entdeckt zu werden. Auch habe sich die Einstellung des Klägers zu seinen Arbeitspflichten durch die Aufdeckung des Fehlverhaltens nicht zwangsläufig geändert.

Aufgrund des massiven Fehlverhaltens sei eine Abmahnung auch entbehrlich gewesen. Die Beklagte könne fortgesetzte Pflichtverletzungen in diesem Ausmaß nicht hinnehmen, auch nicht angesichts einer Beschäftigungszeit von annähernd 40 Jahren. Dies ergebe sich schon aus Gründen der Betriebsdisziplin.

Im Rahmen der Interessenabwägung seien schließlich die Aussichten des Klägers auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Trotz eines fortgeschrittenen Lebensalters seien diese für Facharbeiter derzeit günstig, was dadurch bestätigt worden sei, dass der Kläger rund 6 Wochen nach der außerordentlichen Kündigung eine neue Beschäftigung aufgenommen habe.

Hinweise für die Praxis

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt „an sich“ geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Die vorsätzliche Manipulation der Arbeitszeiterfassung und das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit zählen hierzu, so wie es sich auch aus dem Urteil des LAG richtigerweise ergab.

Sodann ist zu prüfen, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht. Zu berücksichtigen sind hierbei insbesondere das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Da im vorliegenden Fall die meisten Umstände für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprachen, hatte das LAG die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers konsequenterweise abgewiesen. Auch das bisher 40 Jahre bestehende, unbelastete Arbeitsverhältnis führte zu keinem anderen Ergebnis. Einer vorherigen Abmahnung als milderes Mittel bedurfte es ebenfalls nicht.

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