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Arbeitsrecht: Paritätische Besetzung des Aufsichtsrats – auch Leiharbeiter können mitzählen!

Überschreitet ein Unternehmen den Schwellenwert von 2.000 Arbeitnehmern, muss es diese paritätisch im Aufsichtsrat beteiligen. Der BGH entschied mit Beschluss vom 25. Juni 2019, dass auch Leiharbeitnehmer in die Berechnung einfließen können (Az. II ZB 21/18).

Sachverhalt

Der Gesamtbetriebsrat einer GmbH beantragte die gerichtliche Feststellung, dass im Unternehmen ein paritätischer Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zu bilden sei. Hierauf nahm es neben der eigentlichen Antragsgegnerin auch die diese beherrschende Gesellschaft in Anspruch. Das streitgegenständliche Unternehmen beschäftigte zum überwiegenden Teil fest angestellte Arbeitnehmer, jedoch im Umfang von etwa einem Drittel der Belegschaft auch Leiharbeitnehmer, deren Anzahl in Abhängigkeit von der Auftragslage schwankte. Im Zeitraum von Januar 2017 bis März 2018 lag die Gesamtzahl der fest angestellten Arbeitnehmer und sämtlicher Leiharbeitnehmer im Durchschnitt stets über 2.000. Bei Berücksichtigung nur der fest angestellten Arbeitnehmer und solcher Leiharbeitnehmer, deren tatsächliche oder prognostizierte Beschäftigungsdauer mehr als sechs Monate betrug, lag sie dagegen stets unter 2.000. Das Landgericht wies den Feststellungsantrag zurück. Auf die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats stellte das Oberlandesgericht fest, dass ein paritätischer Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zu bilden ist.

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde des Unternehmens beim BGH blieb ohne Erfolg. Auch der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat gab dem Gesamtbetriebsrat Recht. Die Begründung in der am 20. August 2019 veröffentlichten Pressemitteilung fällt kurz und knapp aus.  Nach § 1 Abs. 1 i.V.m. §§ 6, 7 MitbestG ist in Unternehmen, die in der Rechtsform einer GmbH betrieben werden und in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen, ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat zu bilden. Als Arbeitnehmer im Sinne des MitbestG sind neben den fest angestellten Arbeitnehmern und Angestellten eines Unternehmens nach § 14 Abs. 2 Satz 5 AÜG auch Leiharbeitnehmer grundsätzlich zu berücksichtigen. Bei der Ermittlung u.a. des Schwellenwerts nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG gemäß § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG gilt dies allerdings nur dann, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt. Diese Mindesteinsatzdauer ist nicht arbeitnehmerbezogen, sondern arbeitsplatzbezogen zu bestimmen. Abzustellen ist daher nicht darauf, dass der einzelne Leiharbeitnehmer bei dem betreffenden Unternehmen mehr als sechs Monate eingesetzt ist bzw. wird, sondern darauf, wie viele Arbeitsplätze in dem Unternehmen regelmäßig über die Dauer von sechs Monaten hinweg mit auch wechselnden Leiharbeitnehmern besetzt sind. Dabei ist unerheblich, auf welchem konkreten Arbeitsplatz die Leiharbeitnehmer in dieser Zeit eingesetzt werden. Entscheidend ist vielmehr, ob der Einsatz von Leiharbeitnehmern als solcher so dauerhaft erfolgt, dass er für die ständige Größe des Unternehmens ebenso prägend ist wie ein Stammarbeitsplatz.

Den vorstehenden Kriterien entnahm der BGH, dass bei dem Unternehmen ein paritätisch mitbestimmter Aufsichtsrat zu bilden ist. Nach den vorliegenden Angaben, so der Senat, habe die GmbH ihren Personalbestand von insgesamt über 2.000 Beschäftigten in der Zeit von Januar 2017 bis März 2018 durchgehend, mithin während eines Jahres über die Dauer von sechs Monaten hinaus, zu ungefähr einem Drittel mit Leiharbeitnehmern besetzt. Die Zahl der Leiharbeitnehmer sei dabei sogar gestiegen. Anhaltpunkte dafür, dass dieser Einsatz von Leiharbeitnehmern lediglich auf einem ungewöhnlichen, auf einer Ausnahmesituation beruhenden Bedarf an Arbeitnehmern beruhe, seien nicht ersichtlich. Die Konzernregelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 MitbestG i.V.m. § 18 AktG sei ausgehend hiervon einschlägig und ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat zu bilden.

Hinweise für die Praxis

Bis zur letzten AÜG-Reform im Jahr 2017 blieben Leiharbeitnehmer für die Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung ohne Berücksichtigung. Auch die Rechtsprechung des BAG, das seit 2013 mehrfach zu Gunsten der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern für die Schwellenwerte des Kündigungsschutzgesetzes des Betriebsverfassungsgesetzes entschieden hatte, blieb bis dato ohne Auswirkung. Aus der neuen Entscheidung des BGH wird sich bei einigen Unternehmen nunmehr die Pflicht zur erstmaligen Bildung eines mitbestimmten Aufsichtsrates ergeben. Insbesondere Unternehmen, bei denen ein drittelmitbestimmter Aufsichtsrat besteht, könnten durch die arbeitsplatzbezogene Betrachtung des BGH der paritätischen Mitbestimmung unterliegen. Überdies steht zu erwarten, dass auch die Berechnung der Schwellenwerte nach dem Drittelbeteiligungsgesetz, dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung sowie über die Mitbestimmung nach dem SE- und dem SCE-Beteiligungsgesetz sich nach den neuen Spielregeln des II. Zivilsenats ändern wird.

Insbesondere Unternehmen, deren Beschäftigtenanzahl sich nahe der Schwellenwerte von 500 bzw. 2.000 bewegt und die regelmäßig Leiharbeitnehmer einsetzen, müssen in die Bestandsaufnahme gehen und kritisch reflektieren, inwieweit der Einsatz von Fremdpersonal zu einer Überschreitung der Schwellenwerte führt.

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