Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Anfechtung wegen arglistiger Täuschung – Fragerecht des Arbeitgebers - Lebenslauf - Rechtskraft

Der Kläger hatte sich am 1. Oktober 2014 per E-Mail auf eine Stellenanzeige bei der Beklagten als Group IT-Direktor beworben. Im Rahmen seiner Bewerbung reichte der Kläger einen Lebenslauf ein und füllte einen Personalbogen aus, führte ein Telefon- und ein Skype-Interview, worin die einzelnen Stationen des Lebenslaufs des Klägers und die dadurch erlangte Berufs- und Führungserfahrung ausführlich thematisiert wurden. Für die Einstellung des Klägers schlussendlich ausschlaggebend waren die angegebenen zusätzlichen Erfahrungen im Ausland und die damit verbundenen Kenntnisse aus den Jahren 1998 bis 2006. Dadurch setzte sich der Kläger letztlich gegen einen weiteren Bewerber durch.

Die Beklagte kündigte in der Folgezeit das Arbeitsverhältnis mehrfach, indes ohne Erfolg. Die Arbeitsgerichtsbarkeit hatte rechtskräftig festgestellt, dass die Kündigungen das Arbeitsverhältnis nicht beendet hatten und es ungekündigt fortbestand.

Im Hinblick auf verschiedene Ungereimtheiten in den vorgelegten Unterlagen und Äußerungen des Klägers, erstellte die Beklagte ergänzende Nachforschungen an. Aus diesen soll sich nach Auffassung der Beklagten ergeben haben, dass der Kläger zum einen eine erhebliche Straftat im IT-Bereich begangen habe, weswegen er in den Jahren 2004 bis 2006 in den USA in Strafhaft gewesen sei; zum anderen ergebe sich daraus, dass die Angaben des Klägers in seinem Lebenslauf im Hinblick auf die von der Beklagten in der Stellenanzeige genannten Qualifikationsvoraussetzungen nicht den Tatsachen entsprächen. Die Beklagte hat ihre Willenserklärung bei Abschluss des Arbeitsvertrages deswegen angefochten und das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise fristgerecht gekündigt.

Das Arbeitsgericht hat in erster Instanz sowohl der Anfechtung als auch der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung den Erfolg versagt.

Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil insoweit abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom vom 21.02.2019, 3 Sa 65/17).

Entscheidungsgründe

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat ein Anfechtungsrecht des beklagten Arbeitgebers wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) bejaht. Grundsätzlich kann ein Arbeitsvertrag durch Anfechtung gem. § 123 BGB beendet werden. Das Anfechtungsrecht wird nicht durch das Recht zur außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung verdrängt, vielmehr kann ein und derselbe Sachverhalt sowohl zur Anfechtung als auch zur außerordentlichen und ordentlichen Kündigung berechtigen.

Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts könne aber die Anfechtung nicht deswegen erfolgen, weil der Kläger eventuell wahrheitswidrig die Begehung einer Straftat im IT-Bereich und die deswegen verwirkte Freiheitsstrafe nicht mitgeteilt habe. Selbst wenn diesbezüglich eine grundsätzliche Offenbarungspflicht bestanden habe, sei dies im Zeitpunkt des Bewerbungsverfahrens im Jahr 2014 nicht mehr der Fall gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger einen entsprechenden Sachverhalt wegen Ablaufs der Tilgungsfristen nach dem Bundeszentralregistergesetz nicht mehr offenbaren müssen. An der Offenbarung getilgter oder tilgungsreifer Vorstrafen hat der Arbeitgeber kein berechtigtes Interesse. Auf diese Weise soll der Verurteilte vom Strafmakel befreit und seine Resozialisierung gefördert oder manifestiert werden. Das Verbot erfasst alle Bereiche des Rechtslebens. Es ist auch im privatrechtlichen Bereich zu achten.

Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung sei aber berechtigt, weil der Kläger unzutreffende Angaben über seinen beruflichen Werdegang gemacht und dies die Beklagte zu seiner Einstellung veranlasst habe. Fragen nach der Ausbildung, Qualifikationen und dem beruflichen Werdegang einschließlich Aus- und Weiterbildungszeiten seien grundsätzlich zulässig; der Arbeitnehmer sei daher zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach früheren Beschäftigungsverhältnissen und deren Dauer verpflichtet, denn nur hierdurch könne die Eignung für eine vorgesehene Tätigkeit ermittelt werden.

Allein schon eklatante Unstimmigkeiten im Werdegang des Klägers, die durch die auf entsprechende Nachfrage gegebene Auskunft des Klägers verstärkt wurden, rechtfertigten die Annahme der Beklagten, der Kläger habe über seinen beruflichen Werdegang getäuscht. Bei dieser Sachlage wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, seinen beruflichen Werdegang einschließlich Studienzeiten nachvollziehbar und widerspruchsfrei darzulegen und zu belegen.

Schon diese Umstände genügten, um die von der Beklagten erklärte Anfechtung ihrer Willenserklärung zum Abschluss des Arbeitsvertrags für gerechtfertigt zu erachten. Es sei, worauf der Kläger mehrfach hingewiesen worden sei, nicht ausreichend, die von der Beklagten angestellten Vermutungen hinsichtlich seines Werdegangs als unzutreffend zu bestreiten. Vielmehr hätte es schon aus dem Gesichtspunkt der Sachnähe ihm oblegen, die entsprechenden Daten nachvollziehbar und widerspruchsfrei vorzutragen und zu belegen.

Das Anfechtungsrecht sei auch nicht verwirkt und der rückwirkenden Anfechtung mit Wirkung zur faktischen Außervollzugsetzung des Arbeitsverhältnisses zum 3. Mai 2015 stehe auch die Rechtskraft des späteren Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg über den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Die Beklagte könne nämlich schon im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG im vorliegenden Rechtsstreit nicht mit einer rückwirkenden Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausgeschlossen sein, die sie im Vorprozess ohne ihr Verschulden noch gar in den Rechtsstreit hätte einführen können.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil ist einer der wenigen Fälle, in denen das rechtstheoretisch bestehende Anfechtungsrecht bezüglich des Abschluss eines Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung praktisch erfolgreich angewandt worden ist. Auf den ersten Blick mag es irritieren, dass der Umstand einer erheblichen Straftat im einschlägigen Bereich verbunden mit Strafhaft zur Begründung der Anfechtung nicht ausgereicht hat, die unrichtigen Qualifikationsangaben aber doch. Im Ergebnis ist dem Landesarbeitsgericht jedoch zuzustimmen, weil der Kläger hinsichtlich des ersten Punktes nicht aktiv informiert hat, dazu auch nicht mehr verpflichtet war; dagegen hatte er hinsichtlich der unrichtigen Qualifikationsangaben aktiv gehandelt, nämlich die Beklagte getäuscht.

Ebenfalls zutreffend hat das Landesarbeitsgericht diesbezüglich eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast angenommen. Die Beklagte hatte hinreichende Indizien für die bewusste Fehlerhaftigkeit der Qualifikationsangaben in den Rechtsstreit eingeführt. Der Kläger hat sodann diese Indizien nicht hinreichend erschüttert, lediglich pauschal bestritten, weswegen der Beklagten keinen Vollbeweis oblag.

Auch die Position des Gerichts, dass die Rechtskraft eines Urteils in vorangehenden Kündigungsschutzprozessen die Ausübung eines bestehenden Gestaltungsrechts zeitlich später nicht ausschließen oder einschränken kann, ist zutreffend.

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