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Kartellrecht: EuGH verschärft die Schadensersatzhaftung von Kartellbeteiligten (Preisschirmeffekte / umbrella pricing)

Wer in einem kartellierten Markt Ware von einem Lieferanten bezieht, der zwar nicht dem Kartell angehört, aber im Windschatten der Preisabsprache seine Preise ebenfalls angehoben hat, sollte Schadensersatzansprüche gegen die Kartellanten prüfen. Denn der EuGH hat solche Ansprüche in einem Urteil vom 5. Juni 2014 grundsätzlich bejaht.

Stimmen sich Unternehmen über Preise, Kunden oder Konditionen ab, verstoßen sie gegen das Kartellverbot des § 1 GWB (Artikel 101 AEUV). Fliegt das Kartell auf, kann die Kartellbehörde Bußgelder gegen die Kartellanten verhängen, die - wie die Kartellamtspraxis seit 2007 zeigt - durchaus eine empfindliche Höhe haben können. Unabhängig davon haften die Kartellanten gegenüber den Betroffenen des Kartells auf Schadensersatz. Der betroffene Abnehmer eines Kartellanten kann also beispielsweise mit der Begründung, durch eine Preisabsprache seien ihm Margenverluste entstanden, den erlittenen Schaden vor den Zivilgerichten geltend machen. Umstritten war bisher, ob auch solche Unternehmen als betroffen anzusehen sind und ihren Schaden ersetzt verlangen können, die ihren Bedarf gar nicht bei einem am Kartell beteiligten Unternehmen gedeckt haben. Auch in solchen Fällen kann der Abnehmer einen Schaden erleiden, nämlich dann, wenn sein Lieferant - obwohl nicht kartellbeteiligt - die Möglichkeit genutzt hat, im Windschatten des Kartells die eigenen Preise ebenfalls zu erhöhen (sog. „Preisschirmeffekte" des Kartells, „umbrella pricing"). Umstritten war, ob diese mittelbare Folge einer Preisabsprache den Kartellanten zuzurechnen ist und diese zum Schadensersatz verpflichtet.

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 5. Juni 2014 diese Frage grundsätzlich bejaht. Der Entscheidung liegt die Schadensersatzklage eines österreichischen Unternehmens (ÖBB Infrastruktur AG) gegen mehrere Unternehmen zugrunde, die den Markt für Aufzüge und Fahrtreppen unter sich aufgeteilt und Preise abgesprochen hatten. Die ÖBB Infrastruktur AG verlangte von den kartellbeteiligten Unternehmen Schadensersatz in Höhe von rund 1,8 Millionen Euro mit der Begründung, die ÖBB habe von einem Dritten, nicht am Kartell beteiligten Unternehmen Aufzüge und Fahrtreppen zu einem höheren Preis gekauft, als es der Marktlage ohne Kartell entsprochen habe. Der Lieferant der ÖBB hatte sich an der Absprache nicht beteiligt, weshalb eine Schadensersatzhaftung des Lieferanten ausschied. Die ÖBB richtete ihr Schadensersatzverlangen vielmehr gegen die Kartellbeteiligten mit der Begründung, dass deren Verhalten - die Abstimmung auf dem Markt für Fahrtreppen und Aufzüge - die Ursache war für die überhöhten Preise des Lieferanten, denn dieser habe den Preisspielraum genutzt, der sich durch die Kartellabsprache ergeben habe. Der österreichische Oberste Gerichtshof legte dem EuGH den Rechtsstreit zur Beantwortung der Frage vor, ob solche Preisschirmeffekte als bloße Nebeneffekte einer kartellrechtswidrigen Absprache die Kartellbeteiligten gleichwohl zum Schadensersatz verpflichten. Der EuGH bejahte diese Frage. Der für den Schadensersatz notwendige Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Kartellabsprache sei jedenfalls dann gegeben, wenn aufgrund der Marktbedingungen die Kartellabsprache auch für Dritte, unbeteiligte Unternehmen die Möglichkeit eröffne, den Preis für das Angebot höher festzusetzen, als dies unter normalen Wettbewerbsbedingungen möglich gewesen wäre, und dies den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnte (Urt. v. 5. Juni 2014, C-557/12).

Fazit

Entscheidend ist, ob im konkreten Fall festgestellt werden kann, dass aufgrund der Kartellabsprache auch für Dritte, nicht am Kartell beteiligte Unternehmen die Möglichkeit des „umbrella pricing" bestand, also einer Preiserhöhung im Windschatten des Kartells. Dies setzt die folgenden Marktgegebenheiten voraus:

  • Die Absprache der Kartellanten muss Auswirkungen auf das Preisniveau des Gesamtmarkts haben, d. h. die kartellbeteiligten Unternehmen müssen über eine gewisse Marktmacht verfügen. Im Aufzugs-Kartell hatten sich die Kartellanten über mehr als die Hälfte des Marktvolumens in ganz Österreich für Neuanlagen abgestimmt.
  • Die nicht am Kartell beteiligten Unternehmen müssen die Preisentwicklung aufgrund der Kartellabsprache erkennen können und sich darauf eingestellt haben. Wer von einem Lieferanten bezieht, der seine Preise unabhängig vom Kartell gestaltet hat, kann keinen Schadensersatz wegen Preisschirmeffekten geltend machen.

    Dr. Hans-Georg Riegger
    Rechtsanwalt und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

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