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Darlegungslast bei Fortsetzungserkrankung

Arbeitnehmer müssen im Falle eines Streits über das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung offenlegen, welche Beschwerden welche Folgen für die Arbeitsfähigkeit hatten und zudem die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Dies folgt aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 18.01.2023 (Az. 5 AZR 93/22).

Sachverhalt

Dem Urteil des BAG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist seit 2012 in der Gepäcksabfertigung eines Unternehmens, welches am Flughafen in F Bodendienstleistungen erbringt, tätig. In den Jahren 2019 und 2020 war der Kläger insgesamt über 100 Kalendertagen erkrankt. Die Beklagte zahlte Entgeltfortzahlung bis einschließlich 13.08.2020 und stellte dann die Zahlungen ein. Mit seiner Klage macht der Kläger Entgeltfortzahlung für weitere zehn Krankheitstage geltend. Eine Fortsetzungserkrankung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG habe nicht vorgelegen. Im Rahmen des Prozesses legte er mehrere Erstbescheinigungen vor. Der Kläger stellte sich auf den Standpunkt, aus Datenschutzgründen nicht verpflichtet zu sein, sämtliche Vorerkrankungen aus der vorliegenden Zeit offenlegen zu müssen.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei nicht mehr verpflichtet gewesen, Entgeltfortzahlung zu leisten. Es hätten anrechenbare Vorerkrankungen vorgelegen, die eine Verpflichtung zur weiteren Entgeltfortzahlung ausgeschlossen hätten.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. In der Berufungsinstanz wurde die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers folgte der Ansicht des Landesarbeitsgerichts. Sei ein Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als 6 Wochen an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert, so gelte eine abgestufte Darlegungslast. Zunächst müsse der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung bestehe. Hierzu könne er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliege, so hat der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlaubten, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden. Hierbei müsse der Arbeitnehmer laienhaft bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seiner Arbeitsfähigkeit bestanden hätten. Ferner müsse er die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Erst mit einem derartigen Vortrag sei der Arbeitgeber überhaupt in der Lage einen substantiierten Sachvortrag zu leisten. Auf das Bestreiten des Arbeitgebers genüge die bloße Vorlage eines ärztlichen Attests nicht mehr. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von einem anderen Arzt ausgestellt sei, könne sich auch als Erstbescheinigung ohnehin nicht zum Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten. Die Folgen einer nicht erweislichen Fortsetzungserkrankung habe schließlich der Arbeitgeber zu tragen. Der Offenlegung von Gesundheitsdaten durch den Arbeitnehmer stünden hierbei weder verfassungsrechtliche noch unionsrechtliche Bedenken entgegen. Auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht bestehe kein Hindernis. Vor diesem Hintergrund habe der Kläger keinen substantiierten Vortrag hinsichtlich des Vorliegens von Fortsetzungserkrankung geleistet. Wegen des Überschreitens des Entgeltfortzahlungszeitraums von 6 Wochen stehe ihm daher kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu. Der Kläger hätte insofern zum Nichtvorliegen etwaiger Fortsetzungserkrankungen umfassend vortragen müssen. Ein bloßer Verweis auf etwaige Diagnoseschlüssel, die auf einer ärztlichen Bescheinigung zu finden sind, worauf sich der Kläger vorliegend allein berufen habe, reiche nicht aus.

Hinweis für die Praxis

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sind immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. Die Entscheidung des BAG reiht sich in die bislang ergangene Rechtsprechung zur Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein.

2021 hatte das BAG (08.09.201 – 5 AZR 149/21) entschieden, dass sich der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeit erschüttern kann, wenn er tatsächliche Umstände darlegt, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Dies sei etwa der Fall, wenn ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasse. Berufe sich der Arbeitnehmer dann zur Begründung, tatsächlich arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte, so sei dieser Beweisantritt ebenfalls nur ausreichend, wenn er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinde.

Allerdings wird sich ein Arzt in diesen Fällen selbst wohl kaum eine Falschbescheinigung attestieren, so dass diese Entscheidung im Ergebnis kaum weiterhilft. In Fällen, wie dem vorliegenden jedoch, in dem es um die Frage der Fortsetzungserkrankung geht, dürfte es sich gerade in den regelmäßig auftretenden Fällen des „Ärztehoppings“ aus Arbeitgebersicht lohnen, bei mehreren aufeinander folgenden Erstbescheinigungen die Entgeltfortzahlung einzustellen und den Arbeitnehmer aufzufordern entsprechende Nachweise beizubringen. Denn ob die einzelnen Ärzte in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungskette voneinander und etwaigen vorhergehenden Bescheinigungen Kenntnis haben, ist in derartigen Fällen doch eher fraglich.

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