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Treuwidrige Anmaßung der Gesellschafterstellung – Ansprüche des Mitgesellschafters

Die unter sittenwidriger Anmaßung der (Allein-)Gesellschafterstellung beschlossenen Satzungsänderungen sind für die Zukunft rückgängig zu machen.

Hintergrund

Dem Urteil des Kammergerichts Berlin liegt folgender Sachverhalt zugrunde: S (der Beklagte) war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der F GmbH. Er hielt jedoch 80% der Anteile treuhänderisch für P (den Kläger). Am 26. August 2011 kündigte P den Treuhandvertrag, sodass die 80%ige Beteiligung auf ihn überging. Der den Treuhandvertrag seinerzeit beurkundende Notar reichte daraufhin eine neue Gesellschafterliste ein, die P mit 80% und S mit 20% am Stammkapital der GmbH auswies. Daraufhin reichte S am 2. September 2011 eine neue Gesellschafterliste ein, die wiederum ihn als Alleingesellschafter auswies. Am 20. Oktober 2011 hielt S sodann als (formal) alleiniger Gesellschafter eine Gesellschafterversammlung ab und beschloss mit allen Stimmen unter anderem, dass das generelle Beschlussquorum in der F GmbH auf 85% gesetzt wird (faktisches Vetorecht für S) und dass stets der Geschäftsführer der F GmbH (also S) Versammlungsleiter sei.

P fordert nun von S, dass dieser den ursprünglichen Satzungszustand wiederherstellt. P sei von S vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt worden, sodass er Schadenersatz von S verlangen könne. Der Schadenersatzanspruch bestehe dann in der Rückänderung der Satzung. Das Landgericht Berlin wies die Klage von P ab. Hiergegen legte P Berufung beim Kammergericht ein.

Das Urteil des Kammergerichts vom 21.10.2021 – 2 U 121/18

Das Kammergericht hat der Berufung stattgegeben und das Urteil des Landgerichts Berlin entsprechend abgeändert. S habe P vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. S habe bereits deshalb mit Vorsatz gehandelt, weil er damit gerechnet habe, dass P Gesellschafter der F GmbH geworden ist. Auch konnte S im Verfahren nicht darlegen, weshalb er die Änderungen in der Satzung sonst vorgenommen hätte, wenn nicht zur Schädigung von P. Die Sittenwidrigkeit der Schädigung ergebe sich daraus, dass S in besonders verwerflicher Weise eine formale Rechtsposition (alleinige Eintragung in der Gesellschafterliste) ausgenutzt, das berechtigte Vertrauen von P in laufende Vergleichsverhandlungen verletzt und letztlich zu eigensüchtigen Zwecken gehandelt habe.

Der Schaden bestehe darin, dass der von P gehaltene Geschäftsanteil im Wert gemindert sei, weil S durch die generelle Änderung des Beschlussquorums nunmehr stets eine Sperrminorität habe. Auch die Regelung, dass der Geschäftsführer (also S) stets Versammlungsleiter sei, führe dazu, dass P seine Rechte in der Gesellschafterversammlung nicht richtig ausüben könne. Denn angesichts des Streits zwischen den Parteien müsse P davon ausgehen, dass S die Versammlungen nicht unvoreingenommen leiten wird. Damit sei der Bestand der Mitgliedschaftsrechte von P im erheblichen Maß betroffen. Spiegelbildlich dazu sei die Gesellschafterstellung von S gestärkt worden, was letztlich auch zur Vermögensmehrung von S führe.

Einem solchen Schadenersatzanspruch stehe auch nicht entgegen, dass der von S gefasste Satzungsänderungsbeschluss unanfechtbar geworden ist, denn dies schließe einen Schadenersatzanspruch nicht aus. Zudem gewähre die Bestandskraft von Beschlüssen keinen Bestandsschutz für die Zukunft, da die Gesellschafter es ohnehin in der Hand haben, Beschlüsse jederzeit zu ändern oder neu zu fassen.

Praxishinweis

Der vom Kammergericht entschiedene Fall beweist einmal mehr, dass sich die formellen Wirkungen der Gesellschafterliste einer GmbH sehr oft nicht mit den tatsächlichen Geschehnissen in einem schwelenden Gesellschafterstreit vereinbaren lassen. Vorliegend bedurfte es einer einstweiligen Verfügung, einer Klage vor dem Landgericht Frankfurt am Main, zahlreicher Verfahren vor dem Handelsregister und einem über zwei Instanzen verlaufenden Prozess vor den Berliner Gerichten, bis ein Gesellschafter eine offenbar sittenwidrige Satzungsänderung rückgängig machen kann. Das belegt einmal mehr, wie formalistisch und strukturiert das GmbH-Recht ausgestaltet ist. Es zeigt aber auch, wie schwierig es sein kann, eine einmal eingetretene Rechtssituation wieder für Zukunft rückgängig zu machen.

Das Urteil des Kammergerichts ist ein Beweis dafür, dass der strenge Formalismus des GmbH-Rechts Grenzen kennt. Es stellt in aller Deutlichkeit fest, dass das Berufen auf eine formale Rechtsposition nicht im Einklang mit Recht und Gerechtigkeit steht. Hier ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Landgericht Berlin die Klage des P mit der Begründung abgewiesen hat, der Satzungsänderungsbeschluss sei unanfechtbar geworden.

Der entschiedene Fall zeigt deutlich, wie wichtig eine gute rechtliche Beratung in Gesellschafterstreitigkeiten ist.

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