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Befugnis zur Beschlussfeststellung in der Gesellschafterversammlung

Die Befugnis zur Feststellung eines Gesellschafterbeschlusses kann durch Mehrheitsbeschluss dem Leiter der Gesellschafterversammlung zugewiesen werden.

Sachverhalt

In dem vom OLG Köln entschiedenen Fall ging es um die Befugnis zur Feststellung des Zustandekommens eines Gesellschafterbeschlusses durch den Versammlungsleiter. Dem lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

An einer GmbH waren drei Gesellschafter beteiligt, die jeweils auch Geschäftsführer der GmbH waren. Für die Geschäftsführertätigkeit erhielten sie ein Festgehalt und eine Tantieme.

Nach einigen Jahren der Zusammenarbeit entschied sich einer der Gesellschafter-Geschäftsführer – der spätere Kläger –, das Unternehmen zu verlassen. Gespräche mit seinen Mitgesellschaftern über ein einvernehmliches Ausscheiden blieben ergebnislos. Daraufhin erklärte der Kläger seinen Austritt aus der Gesellschaft auf das Ende des folgenden Kalenderjahres. Er legte außerdem mit sofortiger Wirkung sein Geschäftsführeramt nieder.

Kurz darauf veranlassten seine Mitgesellschafter verschiedene Beschlussfassungen in einer Gesellschafterversammlung und einem Umlaufverfahren. Gegen die Stimmen des Klägers wurde dort beschlossen, die Geschäftsführervergütung für die verbleibenden Gesellschafter-Geschäftsführer rückwirkend deutlich zu erhöhen. Es wurde außerdem der bereits festgestellte Jahresabschluss zum Vorjahr in geänderter Fassung erneut festgestellt; Informationsanfragen des Klägers dazu im Vorfeld blieben jedoch unbeantwortet. Zuletzt wurde gegen die Stimmen des Klägers beschlossen, dass einer der verbleibenden Mitgesellschafter in Gesellschafterversammlungen als Versammlungsleiter zur formellen Beschlussfeststellung befugt sein sollte.

Gegen die Beschlüsse erhob der Kläger Klage. Das Landgericht Köln gab der Klage teilweise statt. Beide Parteien legten dagegen Berufung ein, über die das OLG Köln entschied.

Das Urteil des OLG Köln vom 21.07.2022 (Az. 18 U 139/21)

Das OLG Hamm wies die Berufungen zurück. Es hielt – wie das Landgericht Köln zuvor – den Beschluss über die rückwirkende Erhöhung der Geschäftsführerbezüge für einzelne Geschäftsführer wegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Feststellung des Jahresabschlusses wegen einer Verletzung der für unwirksam. Den Beschluss über die Zuweisung der Beschlussfeststellungskompetenz an einen Mitgesellschafter sah jedoch auch das OLG Köln als wirksam an.

Praxishinweis

„Wenn zwei sich streiten…“ – und zwar im Rahmen einer Gesellschafterversammlung – kommt es immer wieder vor, dass die Beteiligten gegenseitige Stimmverbote behaupten, über deren (Nicht-)Vorliegen am Ende ein Gericht entscheiden muss. Besonders häufig ist dies in Fällen, in denen Gesellschafter sich wechselseitig aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausschließen, Geschäftsanteile einziehen oder den jeweils anderen als Geschäftsführer abberufen wollen. Eine solche Situation führt nicht selten zu Unsicherheiten, denn die Beteiligten müssen sich fragen: Welcher Beschluss ist überhaupt zustande gekommen oder – anders gefragt – für oder gegen welchen Beschluss muss ich eigentlich Klage erheben?

Die Antwort auf diese Frage lässt sich einfacher finden, wenn die Gesellschafterversammlung durch einen Versammlungsleiter geleitet wird. Im Regelfall wird er nämlich nicht nur die einzelnen Stimmabgaben festhalten, sondern das Zustandekommen von Beschlüssen unter Berücksichtigung etwaiger Stimmverbote formell feststellen. Diese Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter ist zwar nicht konstitutiv, d.h. ein unwirksamer Beschluss wird dadurch nicht wirksam. Die Beschlussfassung ist trotzdem zumindest vorläufig verbindlich: Ist ein Gesellschafter mit dem festgestellten Beschluss nicht einverstanden, muss nämlich er aktiv werden und gegen den Beschluss mit einer (fristgebundenen) Anfechtungsklage vorgehen. Versäumt er die Frist, wird der festgestellte Beschluss wirksam.

Ein Versammlungsleiter hat somit keine nur formale Position, sondern kann auf den Gang von Beschlussfassungen durchaus Einfluss nehmen. Gerade in streitigen Situationen, in denen ein Versammlungsleiter nicht von vorherein feststeht, kann es aus diesem Grund sinnvoll sein, sich diese Position zu sichern. Trotz – oder gerade wegen – dieser Bedeutung des Versammlungsleiters bei der Beschlussfeststellung sind viele Einzelheiten ungeklärt. Das zeigt auch das Urteil des OLG Köln vom 21.07.2022. So gehen Teile der Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur weiter davon aus, dass dem Versammlungsleiter die Befugnis zur Beschlussfeststellung nicht per se zukommt, sondern durch einen (im Regelfall: einstimmigen) Gesellschafterbeschluss oder die Satzung zugewiesen werden muss.

Um Unklarheiten zu vermeiden, können bereits bei der Satzungsgestaltung Weichen gestellt werden. Es können ein Versammlungsleiter benannt oder die Modalitäten seiner Bestellung (z.B. Bestellung durch Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter) geregelt werden. Die Befugnisse des Versammlungsleiters können und sollten ebenfalls geregelt werden; das gilt mit Blick auf das Urteil des OLG Köln insbesondere für die Frage, ob er zur Feststellung von Beschlüssen befugt sein soll. Die Regelungen zu (Anfechtungs-)Klagen gegen Gesellschafterbeschlüsse sollten darauf angepasst werden; so kann die Klagefrist an die Übersendung des festgestellten Beschlussergebnisses an die Gesellschafter anknüpfen.

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