Dr. Jörn Zons

Corona, Ukraine, Lieferkettenkrise im Bau und Maschinen-/Anlagenbau – was tun?

Kunden und Lieferanten, sowohl im klassischen Bau als auch im Maschinen- und Anlagenbau, kämpfen derzeit mit der weltweiten Lieferkettenkrise, namentlich in Gestalt erheblicher Kostensteigerungen und Verzögerungen bei der Beschaffung von Komponenten, Teilen, Materialien und sonstigen Lieferungen und auch Leistungen. In dem folgenden Beitrag ordnet unser Partner Dr. Jörn Zons die Folgen der Lieferkettenkrise vertraglich und rechtlich ein und stellt Möglichkeiten zum Umgang mit dieser Problematik dar.

1. Hintergrund

Die Gründe für die Lieferkettenkrise sind vielschichtig. Die aktuell wohl prominentesten Ursachen sind der Ukraine-Krieg und die Nachläufer der COVID19-Pandemie. Darüber hinaus spielt aber auch eine Vielzahl weiterer, sich auch wechselseitig potenzierender Faktoren eine Rolle. Die bis heute nachwirkenden Beeinträchtigungen des weltweiten Handels durch den blockierten Suez-Kanal und die de facto-Schließung des Hafens von Shanghai sind nur zwei von vielen Beispielen.

Für Bau- und Maschinen-/Anlagenbauprojekte bewirkt die Lieferkettenkrise erstens die Gefahr erheblicher Projektverzögerungen, die für die Kunden das Risiko erheblicher Projektverzögerungsschäden (Produktionsausfall etc.) und für die Lieferanten das Risiko entsprechender Verspätungshaftung (Vertragsstrafen/LDs, Schadensersatz etc.) mit sich bringen.

Zweitens bewirkt sie die Gefahr erheblicher Projektkostensteigerungen, insbesondere wegen steigender Komponenten-/Teile-/Material- und ggf. auch Arbeitskosten, aber auch wegen Mehrkosten durch die vorgenannten Projektverlängerungen.

Im Folgenden werden wir verschiedene Möglichkeiten zum Umgang mit diesem Problem darstellen:

2. Faktische Risikoreduzierung durch Optimierung der Lieferkette

Beim Umgang mit der Lieferkettenkrise sollten die Projektbeteiligten zuallererst prüfen, inwieweit sich daraus im konkreten Projekt tatsächlich Kosten- und/oder Terminrisiken ergeben und inwieweit diese Risiken beseitigt oder zumindest reduziert werden können.

Eine Möglichkeit zur Vermeidung/Reduzierung dieser Risiken kann eine entsprechende Optimierung der Lieferkette sein, z.B. durch Auswahl wenig(er) gefährdeter Bezugsquellen (Herkunftsland etc.) und/oder durch Vorhaltung mehrerer Alternativbezugsquellen (zwischen denen dann gewählt werden kann).

Auf den ersten Blick scheint sich dies primär an die Lieferanten am oberen Ende der Vertragskette (z.B. GU) zu richten. Tatsächlich kann und sollte aber auch der Kunde in der Vergabephase in seinem eigenen Projektinteresse die Lieferketten der Bieter hinterfragen und (soweit möglich) deren Termin-/Kostensicherheit bewerten. Zudem hängt die Frage, inwieweit etwaige Lieferkettenoptimierungen zur Reduzierung von Termin- und/oder Kostenrisiken sinnvoll sind, ja auch von den Projektprioritäten des Kunden ab (Kostenhöhe vs. Kostensicherheit, Kosten vs. Termine, Kosten/Termine vs. Wunsch Fabrikat/Lieferant usw.). Diese Diskussion können Kunde und Lieferant sinnvollerweise nur gemeinsam führen.

3. Vertragliche Risikoreduzierung durch entsprechende Termin-/Kostenregelungen

Die vorstehenden Überlegungen werden oft zum Ergebnis führen, dass in einem gegebenen Projekt Kosten- und/oder Terminrisiken durch die Lieferkettenkrise bestehen und dass diese Risiken vielleicht etwas reduziert werden können, nicht aber ganz ausgeschlossen werden können. In diesen Fällen stellt sich dann die weitere Frage, wie diese Kosten-/Terminrisiken rechtlich einzuordnen sind und wie vertraglich mit ihnen umgegangen werden kann:

3.1 Vertrags-/Rechtslage unter klassischen Projektverträgen

Die Lieferkettenkrise, die sich daraus ergebenden Kosten- und/oder Terminrisiken und die Frage nach dem vertraglichen Umgang damit betreffen primär den Lieferanten. Denn wenn in einem Bau-/Maschinen-/Anlagenbauvertrag ein Vertragspreis und ein Vertragstermin vereinbart werden, dann gelten zunächst einmal dieser Preis und dieser Termin. Wenn der Lieferant später wegen Kostensteigerungen/Verzögerungen durch die Lieferkettenkrise eine Preis-/Terminanpassung geltend machen will, braucht er dafür eine tragfähige vertragliche/rechtliche Grundlage. Ein solche Grundlage ist in typischen Projektverträgen i.d.R. schwer zu finden:

(a) Preisanpassung: zweifelhaft

Eine Vertragspreisanpassung wegen Material-/Personalkostensteigerungen ist in Projektverträgen typischerweise nicht vorgesehen. Im Gegenteil, oft wird dies sogar ausdrücklich ausgeschlossen.

Vertragliche Hardship-Klauseln, die zumindest eine Vertragspreisanpassung bei extremen Kostensteigerungen vorsehen, finden sich in Projektverträgen selten. Zudem würde eine solche Klausel selbst im Fall ihres Vorliegens möglicherweise (je nach genauer Formulierung der Klausel und Zeitpunkt des Vertragsschlusses) wegen Vorhersehbarkeit der Kostensteigerung nicht greifen.

Auch der Rückgriff auf eine gesetzliche Hardship-Regelung (in Deutschland z.B. Änderung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB) dürfte in der Regel an der fehlenden Unvorhersehbarkeit der Lieferkettenkrise und ihrer Kostenauswirkungen scheitern. Aber auch im Übrigen sind die Anforderungen an ein Vertragsanpassungsrecht aus gesetzlichen Hardship-Regelungen in der Regel (z.B. auch in Deutschland nach § 313 BGB) sehr hoch. Zudem stellt sich immer die Frage, ob/inwieweit eine gesetzliche Hardship-Regelung neben den vertraglichen Regelungen überhaupt noch zur Anwendung kommen kann, insbesondere wenn der Vertrag (wie häufig) eine konkret entgegenstehende Ausschlussklausel und/oder eine allgemeine Exclusive Rights/Remedies-Klausel enthält.

Die in Projektverträgen typischerweise enthaltenen Force Majeure-Klauseln gewähren in der Regel keine Preisanpassung, sondern nur eine Terminanpassung. Aber selbst wenn eine Force Majeure-Klausel auch eine Preisanpassung gewährt (wie z.B. teilweise bei FIDIC), wird dies i.d.R. nicht weiterhelfen, weil die Lieferkettenkrise auf Basis der praxistypischen Vertragsdefinitionen nicht als Force Majeure zu qualifizieren sein dürfte. Entgegen einer verbreiteten Annahme gilt dies i.d.R. auch speziell für die COVID19 Pandemie und den Ukraine-Krieg, soweit diese bei Vertragsschluss bereits bekannt/vorhersehbar waren.

Speziell bei COVID19- oder Ukraine-bedingten Störungen kann dem Lieferanten manchmal die in Projektverträgen häufig enthaltene Regelung helfen, dass Mehrkosten durch Rechtsänderungen oder zusätzliche Behördenanforderungen (im Fall von COVID19/Ukraine z.B. Ausreiseverbote, Import-/Exportbeschränkungen etc.) den Lieferanten zu einer entsprechenden Preisanpassung berechtigen. Aber abgesehen davon, dass auch das weitgehend nur noch in Altverträgen (vor COVID19/Ukraine) hilft, hilft es schon bei COVID19/Ukraine nur sehr bedingt und bei der allgemeinen Lieferkettenkrise im Übrigen gar nicht.

(b) Terminanpassung bzw. (Nicht)Haftung für Terminüberschreitung: zweifelhaft

Auch die Geltendmachung einer Terminanpassung wegen Verzögerungen durch die Lieferkettenkrise (oder in der Sache treffender: die Geltendmachung einer Nichthaftung für eine dadurch verursachte Terminüberschreitung) ist weit davon entfernt, ein Selbstläufer zu sein:

Zunächst einmal gilt auch hier, dass die vertraglichen Force Majeure-Klauseln sowie etwaige vertragliche und/oder gesetzliche Hardship-Klauseln oft nicht weiterhelfen werden, weil die Lieferkettenkrise oft schon gar nicht als Force Majeure zu qualifizieren sein dürfte und zudem, je nach Zeitpunkt des Vertragsschlusses, bekannt/vorhersehbar war.

Ebenfalls auch hier gilt, dass ein etwaiges Vertragsrecht auf Terminanpassung bei Verzögerungen Rechtsänderungen oder zusätzliche Behördenanforderungen bestenfalls bei Verzögerungen COVID19/Ukraine hilft, und auch dort nur sehr bedingt.

Viele Lieferanten machen sich über Lieferverzögerungen durch die Lieferkettenkrise dennoch weniger Sorgen, weil sie davon ausgehen, dass sie sich im Falle einer dadurch verursachten Überschreitung der Vertragstermine auf fehlendes Verschulden berufen können und dann nicht mehr für die Verspätung haften (Termin-Pönalen/LDs, Verspätungsschadenersatz etc.). Auch das ist aber oft ein Trugschluss. Denn:

Es ist zwar richtig, dass nach deutschem Recht eine Verspätungshaftung bei fehlendem Verschulden ausgeschlossen ist (§§ 280(1)2, 286(4) BGB); in anderen, z.B. englisch geprägten Rechtsordnungen (Vereinigtes Königreich, USA, Australien etc.) ist das aber keineswegs so. Vielmehr gilt dort eine verschuldensunabhängige Verspätungshaftung (nach dem englischen Rechtsgrundsatz der strict liability for breach of contract), die aber in der Praxis dadurch relativiert wird, dass dem Lieferanten im Vertrag bei bestimmten Verzögerungsgründen ein Anspruch auf Terminanpassung (Extension of Time, EoT) eingeräumt wird (einer dieser typischen EoT-Gründe ist z.B. die bereits erwähnte Force Majeure).

Zudem enthalten auch Projektverträge unter deutschem Recht Regelungen, die, dem englischen Vertragsvorbild folgend, konkrete Gründe für Terminanpassungen/EoT regeln. Solche Terminanpassungs-/EoT-Klauseln werden oft dahingehend auszulegen sein, dass damit hinsichtlich der Verspätungshaftung des Lieferanten das deutschrechtliche Verschuldensprinzip (Haftung nur bei Verschulden) abbedungen werden sollte, sodass der Lieferant sich bei einer Terminüberschreitung, die nicht unter einen der vertraglich geregelten Terminanpassungsgründe fällt, nicht auf fehlendes Verschulden berufen kann.

Im Übrigen ist es keineswegs klar (auch unter deutschem Recht), dass den Lieferanten an einer Überschreitung der Vertragstermine infolge der Lieferkettenkrise kein Verschulden trifft. Vielmehr hängt das stark von den Umständen des Einzelfalls ab, namentlich z.B. von der (erkennbaren) Bedeutung der Termineinhaltung für den Kunden sowie – insbesondere – von der Bekanntheit/Vorhersehbarkeit der Lieferkettenproblematik bei Vertragsschluss und den faktischen Möglichkeiten des Lieferanten zum Umgang damit (Alternativbezugsquellen etc.). Grundsätzlich lässt sich sagen: Je bekannter/vorhersehbarer die Auswirkungen der Lieferkettenkrise auf die Einhaltbarkeit der Vertragstermine bei Vertragsschluss waren, desto schwächer ist die Berufung des Lieferanten auf ein fehlendes Verschulden für eine dennoch eingetretene Terminüberschreitung.

(c) Risikoverlagerung auf Unterlieferanten: nur sehr bedingt

Der Vollständigkeit halber: Manche Lieferanten halten die Kosten- und Terminrisiken durch die Lieferkettenkrise letztlich für ein Problem ihrer Unterlieferanten/Nachunternehmer. Das ist meistens ganz oder teilweise ein Irrglaube. Denn auch Unterlieferanten können und wollen diese Risiken nicht tragen und verlangen daher oft ebenfalls vertragliche Absicherungen. Und selbst wenn ein Unterlieferant ohne vertragliche/rechtliche Grundlage die Vertragserfüllung von einer Preis- und/oder Terminanpassung abhängig macht, treffen die Folgen im Verhältnis zum Endkunden den Lieferanten. Zudem sind auch die vertraglichen Haftungsgrenzen im Verhältnis Unterlieferant/Lieferant i.d.R. kleiner (und zwar meistens deutlich kleiner) als die Haftungsgrenzen im Verhältnis Lieferant/Endkunde. Im Übrigen ist all das akademisch, wenn ein Unterlieferant die Kostensteigerung seiner Vertragsleistung und/oder die Folgen seiner Lieferverzögerung schlicht und ergreifend wirtschaftlich nicht stemmen kann.

3.2 Möglichkeiten zur Verbesserung der Vertragslage

Das Vorstehende zeigt, dass insbesondere Lieferanten sich Gedanken machen sollten, wie sie bei einem anstehenden Auftrag mit den Kosten- und Terminrisiken umgehen können/wollen. Dazu gibt es verschiedene vertragliche/kommerzielle Möglichkeiten, von denen einige nachfolgend dargestellt werden:

(a) Kostenrisiko

Der effektivste Weg für den Lieferanten zur Reduzierung seines Kostenrisikos ist natürlich, sich im Vertrag gar nicht erst auf einen festen Preis einzulassen (sei es ein Pauschalfestpreis oder feste Einheitspreise), sondern z.B. nur eine Cost + Fee-Abrechnung anzubieten. Einige wenige Lieferanten tun das tatsächlich. Allerdings besteht diese Option ersichtlich nur, wenn der Lieferant sehr marktstark ist und wenn die Unkalkulierbarkeit einer Cost + Fee-Abrechnung nicht die Wirtschaftlichkeit des Projekts in Frage stellt und damit für den Kunden inakzeptabel ist.

Eine ähnliche Variante ist es, dass der Lieferant sich zwar zunächst auf einen festen Vertragspreis einlässt, aber zur Reduzierung seines Kostenrisikos durch die Lieferkettenkrise die Aufnahme einer entsprechenden Preisgleitregelung verlangt. Auch das tun einige Lieferanten. Allerdings besteht auch dabei häufig das Problem der fehlenden Kundenakzeptanz wegen der Unkalkulierbarkeit des endgültigen Preises. Hinzu kommt, dass es je nach Art und Umfang der in Rede stehenden Vertragsleistungen schwer sein kann, Preisindizierungen zu finden/vereinbaren, die die Kostenrisiken durch die Lieferkettenkrise halbwegs vollständig und verlässlich erfassen.

In beiden Varianten (Cost + Fee und Preisgleitung) kann das Problem der Unkalkulierbarkeit des endgültigen Preises durch Vereinbarung eines (bereits gepufferten) Zielpreises mit Bonus/Malus-Regelung und/oder eines garantierten Maximalpreises (GMP) reduziert werden. Dies bedeutet dann eine Aufteilung des Kostenrisikos, deren Tragweite und Gangbarkeit beide Parteien faktisch und kommerziell für sich bewerten müssen.

Theoretisch könnte ein Lieferant zwar auch einen Festpreis (ohne Preisgleitung) anbieten und die möglichen Kostensteigerungen infolge der Lieferkettenkrise von vornerein in diesen Festpreis einkalkulieren. Zumindest das Problem der Unkalkulierbarkeit des endgültigen Preises bestünde in dem Fall nicht (oder deutlich weniger). Allerdings müsste zumindest eine vollständige Risikoeinpreisung in den meisten Fällen wohl so hoch ausfallen, dass diese Variante bestenfalls bei solchen Projekten realistisch sein dürfte, bei denen für den Kunden (bzw. dessen Geldgeber) die Kostensicherheit deutlich höhere Priorität hat als die Kostenhöhe.

Ein anderer und auf den ersten Blick naheliegend erscheinender Ansatz ist, das Kind im Vertrag beim Namen zu nennen und z.B. folgendes zu vereinbaren: "Falls und soweit die COVID19 Pandemie, der Ukraine-Krieg oder die allgemeine Lieferkettenkrise zu Verzögerungen und/oder Mehrkosten bei der Vertragsdurchführung des AN führen, hat der AN Anspruch auf entsprechende Termin- und/oder Preisanpassung." Aber: Erstens werden die meisten Kunden einer solchen Vertragsklausel widersprechen (verständlicherweise), weil sie sehr vage/unklar und aus Kundensicht potenziell zu weitgehend ist. Zweitens ist eine solche Regelung bei näherem Hinsehen auch für den Lieferanten keine perfekte Lösung. Denn um auf Basis einer solchen Klausel eine Termin- und/oder Preisanpassung geltend zu machen, müsste der Lieferant konkret darlegen/beweisen, (1) dass/inwieweit es bei seiner Vertragsdurchführung zu konkreten Mehrkosten und/oder Verzögerungen gekommen ist (Soll/Ist) und (2) dass/wieso/inwieweit diese Mehrkosten/Verzögerungen tatsächlich durch die Lieferkettenkrise (was auch immer diese genau umfassen soll) verursacht wurden. Abgesehen davon, dass dieser Nachweis dem Lieferanten maximale (und oft unerwünschte) Transparenz abverlangt, wird er ihn oft nur sehr schwer ausreichend konkret/belastbar führen können.

In der Praxis werden oft Kompromissregelungen vereinbart, wonach Verzögerungen/Mehrkosten durch die Lieferkettenkrise (oder zumindest durch die Unterfälle COVID19 und/oder Ukraine-Krieg) den Lieferanten zu einer Preis- und/oder Terminanpassung berechtigen sollen, falls/soweit sie bei Vertragsschluss nicht bekannt oder vorhersehbar waren. Aber dabei stellt sich das Problem der Unklarheit und der schweren konkreten Nachweisbarkeit gleichermaßen. Zudem kommt hier noch die ebenso unklare Frage hinzu, welche Verzögerungen/Kostensteigerungen durch die Lieferkettenkrise denn bei Vertragsschluss bekannt/vorhersehbar waren und welche nicht.

(b) Terminhaftungsrisiko

Für den Umgang mit den Terminrisiken gilt das vorstehend zu den Kostenrisiken Gesagte weitgehend entsprechend:

Auch eine Reduzierung seines Terminhaftungsrisikos kann der Lieferant natürlich am effektivsten dadurch erreichen, dass er sich im Vertrag gar nicht erst auf konkrete verbindliche Vertragstermine einlässt. Manche Lieferanten tun auch das, aber auch diese Option besteht ersichtlich nur, wenn der Lieferant sehr marktstark ist und/oder wenn die Terminschiene für das fragliche Projekt von untergeordneter Bedeutung ist.

Ein etwas sanfterer Weg ist, dass der Lieferant sich zwar auf verbindliche Vertragstermine einlässt, in diese aber möglichst komfortable Puffer einrechnet. Auch die Machbarkeit dieser Variante hängt aber natürlich von den Umständen des Einzelfalls ab (Wichtigkeit der Terminschiene für das Projekt, Wichtigkeit des Lieferanten, Terminangebote der Wettbewerber etc.).

Ein kaufmännisches Pendant zu Terminpuffern ist die Variante, die bei Nichteinhaltung der Vertragstermine zu zahlenden Terminpönalen/LDs von vornerein in den Vertragspreis hineinzurechnen. Allerdings stellt sich natürlich auch dabei die Frage, ob/inwieweit das konkrete Projekt und die Wettbewerbssituation dies erlauben. Zudem hängt die Tragfähigkeit dieser Strategie auch davon ab, ob/inwieweit die vereinbarten/eingepreisten Terminpönalen/LDs abschließend sind (sole remedy), d.h. ob/inwieweit weitergehender Verspätungsschadenersatz ausgeschlossen ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Erreichen des Pönale/LD-Caps oft das Kundenrecht zur Vertragskündigung auslöst.

Auch hier kann ein sinnvoller Mittelweg sein, dass die Parteien einen (bereits gepufferten) Zieltermin mit Bonus/Malus-Regelung vereinbaren. (Z.B.: ungestörter Idealtermin 31.12.23; vereinbarter Zieltermin 30.06.24; bei Lieferung zwischen Ideal- und Zieltermin Bonus; bei Lieferung nach Zieltermin Termin-LDs.) Auch das bedeutet eine Aufteilung des Terminrisikos, deren Sinnhaftigkeit im konkreten Projekt beide Parteien für sich bewerten müssen.

Im Übrigen kann natürlich auch die Vereinbarung einer allgemeinen Terminanpassung (EoT) "bei Verzögerungen durch COVID-19, Ukraine oder die Lieferkettenkrise" (oder, in der Praxis häufiger: "bei Verzögerungen durch COVID-19, Ukraine oder die Lieferkettenkrise, falls/soweit diese bei Vertragsschluss noch nicht bekannt oder vorhersehbar waren") das Terminhaftungsrisiko des Lieferanten reduzieren. Aber wie bereits ausgeführt, ist das für den Kunden oft nicht akzeptabel und zudem auch für den Lieferanten kein Allheilmittel.

4. Fazit

In Bau-/Maschinen-/Anlagenbauprojekten bewirkt die aktuelle Lieferkettenkrise das Risiko erheblicher Projektverzögerungen und/oder Projektkostensteigerungen. Vertraglich/rechtlich betreffen diese Risiken im Verhältnis Kunde/Lieferant mehr den Lieferanten. Faktisch betreffen sie aber natürlich auch den Endkunden und das gesamte Projekt.

Die Kosten- und Verzögerungsrisiken durch die Lieferkettenkrise sind eine wirtschaftliche Realität. Es gibt keine Wunderlösung, mit der man diese Realität wegzaubern kann. Es gibt aber verschiedene mögliche Maßnahmen, um diese Kosten- und/oder Verzögerungsrisiken zu reduzieren und/oder sie zwischen den Parteien aufzuteilen und/oder sie für die Parteien kalkulierbarer zu machen. Einige dieser Maßnahmen sind vorstehend genannt.

Jede der genannten Maßnahmen zum Umgang mit den Kosten-/Verzögerungsrisiken durch die Lieferkettenkrise hat Pros/Cons, die abzuwägen sind. Keine von ihnen ist immer die richtige. Je nach Umständen des jeweiligen Einzelfalls/Projekts wird mal die eine und mal die andere Maßnahme die passende sein. Zudem schließen die genannten Maßnahmen sich nicht gegenseitig aus. Vielmehr können auch einige von ihnen kombiniert werden, um dem Ziel der bestmöglichen Risikoreduzierung so nahe wie möglich zu kommen.

Für das Vorgehen im konkreten Projekt heißt das: gründliche Bewertung der konkreten Kosten-/Verzögerungsrisiken in der Lieferkette, und zwar soweit möglich bereits in der Projekt-/Vertragsanbahnungsphase; möglichst offene Kommunikation Kunde/Lieferant über diese Risiken und den faktischen und vertraglichen Umgang damit; Betrachtung aller in Frage kommenden faktischen und vertraglichen Handlungsoptionen und Auswahl derjenigen, die im konkreten Fall geeignet erscheinen.

All das ist komplex und fordernd. Aber in der gegenwärtigen Situation wäre es fahrlässig und gefährlich, es nicht zu tun.

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