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Wann beginnt die Schwangerschaft – und damit der Sonderkündigungsschutz?

Ist umstritten, ob eine Arbeitnehmerin zum Kündigungszeitpunkt schwanger war und Sonderkündigungsschutz in Anspruch nehmen kann, ist nach einem Urteil des LAG Baden-Württemberg zur Ermittlung des Schwangerschaftsbeginns 266 Tage vom voraussichtlichen Entbindungstermin zurückzurechnen (LAG BW, Urteil v. 01.12.2021, Az. 4 Sa 32/21). Diese neue Berechnungsmethode weicht von der ständigen Rechtsprechung des BAG ab.

Sachverhalt

Die Klägerin wurde von der Beklagten mit Wirkung ab dem 15. Oktober 2020 als hauswirtschaftliche Helferin eingestellt. Nur wenige Tage später, am 6. November 2020, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis schriftlich während der vereinbarten Probezeit. Die Klägerin erhob am 12. November 2020 Kündigungsschutzklage. Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2020, eingegangen bei Gericht am 3. Dezember 2020 und bei der Beklagten am 7. Dezember 2020, ließ sie unter Vorlage einer Bestätigung ihrer Frauenärztin vom 26. November 2020 mitteilen, sie befinde sich in der 6. Schwangerschaftswoche. Im Laufe des Verfahrens reichte die Klägerin eine weitere Schwangerschaftsbescheinigung vom 27. Januar 2021 nach, in der als voraussichtlicher Geburtstermin der 5. August 2021 angegeben war. Die Klägerin hielt die Kündigung wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 MuSchG für unwirksam. Sie gab an, zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs schwanger gewesen zu sein. Hiervon habe sie aber erst am 26. November 2020 Kenntnis erlangt. Die Beklagte bestritt das Vorliegen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Jedenfalls sei die Mitteilung der Klägerin zu spät erfolgt.

Entscheidungsgründe

Nachdem bereits das Arbeitsgericht Heilbronn die Klage abgewiesen hatte, unterlag die Klägerin auch in 2. Instanz. Die Klägerin, so der 4. Senat, sei zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht schwanger gewesen. Das vom BAG in ständiger Rechtsprechung angewendete Rechenmodell, vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Entbindungsdatum 280 Tage zurückzurechnen, sei für die Ermittlung des Schwangerschaftsbeginns ungeeignet. Es markiere zwar in der Theorie die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen könne. Die - letztlich fiktive – Vorverlegung des Schwangerschaftsbeginns auf den ersten Tag der letzten Regelblutung beziehe den Kündigungsschutz damit allerdings auf einen Zeitpunkt, zu dem eine Schwangerschaft nicht nur wenig wahrscheinlich, sondern absolut unwahrscheinlich und praktisch fast ausgeschlossen sei. Hierdurch vermenge das BAG die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes (also die Existenz einer Schwangerschaft) mit der prozessualen Frage ihres Nachweises. Die hierdurch eintretende Verlagerung des Kündigungsschutzes auf einen Zeitpunkt vor Beginn der Schwangerschaft führe damit dazu, dass einer zunächst wirksamen Kündigung durch den praktisch stets später liegenden tatsächlichen Schwangerschaftsbeginn nachträglich ihre Wirksamkeit genommen werde. Dieser Eingriff in die Grundrechte des Arbeitgebers sei auch durch Art. 6 Abs. 4 GG nicht zu rechtfertigen. Stattdessen dürfe bei der Berechnung des Schwangerschaftsbeginns nur 266 Tage vom Entbindungstermin zurückgerechnet werden, da der durchschnittliche Zeitpunkt des Eisprungs beim 12. bis 13. Zyklustag liege. Ein Schwangerschaftsbeginn sei daher vorliegend am 12. November 2020 und damit nach Ausspruch der Kündigung anzunehmen.

Hinweise für die Praxis

Ist eine Arbeitnehmerin schwanger, so darf ihr nicht gekündigt werden. War zum Zeitpunkt der Kündigung aber nicht klar, dass eine Schwangerschaft besteht, muss ein Rechenmodell herhalten, anhand dessen der Schwangerschaftsbeginn festgestellt werden kann. Die seit 40 Jahren vom BAG angewendete 280-Tage-Regelung ist medizinisch längst überlebt. So nachvollziehbar und wichtig der Zweck des Sonderkündigungsschutzes für Schwangere auch ist – er darf nicht greifen, wenn bei Ausspruch der Kündigung tatsächlich gar keine Schwangerschaft bestand. Die Revision gegen die Entscheidung des LAG ist zugelassen. Es ist offen, ob sich der 2. Senat der Vorinstanz anschließen und seine Rechtsprechung ändern wird.

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