Dr. Christoph Fingerle, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer von Leiharbeitnehmern durch Tarifvertrag?

Kann bei einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung in einem Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten eine andere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden? Gilt dies dann auch für den überlassenen Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber (Verleiher) unabhängig von deren Tarifgebundenheit? Das Bundesarbeitsgericht hat diese beiden Fragen bejaht.

Sachverhalt

Dem Urteil des Bundearbeitsgereichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war der Beklagten ab Mai 2017 für knapp 24 Monate als Leiharbeitnehmer überlassen. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. (Südwestmetall). In ihrem Unternehmen galt daher der zwischen Südwestmetall und der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) geschlossene „Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit“. Der Tarifvertrag regelt u.a., dass die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung 48 Monate nicht überschreiten darf. Der Kläger will mit seiner Klage festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten (Entleiherin) aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer kraft Gesetzes (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG*) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Der Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit gelte für ihn mangels Mitgliedschaft in der IG Metall nicht. Zudem sei die dem Tarifvertrag zugrundliegende Regelung (§ 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG**) verfassungswidrig. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hatte vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Südwestmetall und IG Metall konnten die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern.

§ 1 AÜG lautet auszugsweise:

„§ 1 Arbeitnehmerüberlassung, Erlaubnispflicht…(1b) 1Der Verleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. … 3In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden.“

Bei § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG handelt es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestattet, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrags zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankommt. Die gesetzliche Regelung ist unionsrechts- und verfassungskonform. Die vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten hält sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt einen erheblichen Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien, über die gesetzlich festgelegten Höchstgrenzen hinaus abweichende Höchstüberlassungsdauer zu regeln. Bereits aus der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage und der Logik der Regelung folgt zwingend, dass es auf eine Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien im Leiharbeitsverhältnis nicht ankommen kann. Der Leiharbeitgeber zählt eben nicht zu den Betrieben der »Einsatzbranche«.

Allerdings steht den Tarifvertragsparteien auch keine Regelungskompetenz für die »gesamte« Einsatzbranche zu, sondern nur für die tarifgebundenen Unternehmen der Einsatzbranche. Bei nicht tarifgebundenen Unternehmen muss es daher bei der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer verbleiben. Da der Tarifvertrag für die Unternehmen der Einsatzbranche in den Arbeitsverhältnissen zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer branchenfremd ist, kommt auch keine einzelarbeitsvertragliche Inbezugnahme in Betracht. Ebenso scheidet eine Vereinbarung zwischen dem branchenzugehörigen Entleiher und dem Leiharbeitnehmer aus, da insoweit kein Vertragsverhältnis besteht.

Auf dieser Grundlage kommt eine Anwendung der tarifvertraglichen Privilegierung nur beim Arbeitnehmerverleih in Unternehmen in Betracht, die kraft Verbandszugehörigkeit tarifgebunden sind.

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