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Kündigung bei Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen Impfunfähigkeitsbescheinigung wirksam

Das Arbeitsgericht Lübeck hat mit Urteil vom 13.04.2022 (Az. 5 Ca 189/22) entschieden, dass Arbeitgeber im Pflege- und Gesundheitssektor ihren Arbeitnehmern kündigen können, wenn sie nicht geimpft sind und eine aus dem Internet heruntergeladene Impfunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, die ohne vorangegangene ärztliche Untersuchung und/oder (digitaler) Besprechung ausgestellt wurde.

Sachverhalt

Dem Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Im Rahmen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Ärzte und Pflegepersonal gem. § 20a IfSG müssen Beschäftigte dieses Sektors seit dem 15.03.2022 einen Nachweis über eine abgeschlossene Impfung bzw. einen Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis, dass der oder die Betroffene aufgrund einer medizinischen Kontraindikation oder frühen Schwangerschaft nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann, erbringen, wobei Arbeitgeber bei Nichterbringung eines entsprechenden Nachweises eine Meldung beim zuständigen Gesundheitsamt einzureichen haben.

Die Klägerin ist bei der beklagten Klinik seit 2001 als Krankenschwester beschäftigt und aufgrund anwendbarer tarifvertraglicher Regelungen ordentlich unkündbar. Auf die Anweisung der Arbeitgeberin im Zuge der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, den Impf- bzw. Genesenenstatus nachzuweisen oder ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorzulegen, hat die Klägerin ihrer Arbeitgeberin eine Bescheinigung vorgelegt, die eine sechsmonatige Impfunfähigkeit ausweist und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland enthält. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet heruntergeladen und ausgedruckt. Eine Besprechung mit der Ärztin fand im Vorfeld nicht statt, auch nicht über digitale Medien. Die Beklagte hat das Gesundheitsamt aufgrund der Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit entsprechend des § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG informiert und außerdem der Klägerin außerordentlich, hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist gekündigt.

Entscheidungsgründe

Die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist war aufgrund des Fehlverhaltens der Klägerin gerechtfertigt und wirksam. Die außerordentliche Kündigung war hingegen aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit der Klägerin von etwa 21 Jahren unverhältnismäßig und damit unwirksam. Den Kern der Verletzung sah das Arbeitsgericht darin, dass die Klägerin eine vorgefertigte Bescheinigung verwendete, die ohne vorangegangene individuelle ärztliche Untersuchung ausgestellt wurde. Dies stellte für das Arbeitsgericht Lübeck eine schwere Verletzung gegen die auf § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG beruhenden arbeitsvertraglicher Nebenpflichten dar. Es habe der Klägerin aus Sicht des Arbeitsgerichts, klar sein müssen, dass die vorgelegte Bescheinigung bei der Arbeitgeberin zwar den Anschein eines ärztlichen Zeugnisses erwecken würde, dieses aber tatsächlich gar nicht auf einer ärztlichen Untersuchung und fundierten Beurteilung beruhte. Die Klägerin hat durch Vorlage der Bescheinigung versucht, die Beklagte über eine Impfunfähigkeit zu täuschen. Dem Vortrag der Klägerin, dass das durch den Arbeitgeber informierte, zuständige Gesundheitsamt ausschließlich befugt sei, die Angelegenheit zu untersuchen, folgte das Arbeitsgericht nicht. Arbeitsrechtliche Konsequenzen im Verhältnis zum konkreten Arbeitsverhältnis könne nur der Arbeitgeber selbst ziehen. Drohende Rechtsfolgen auf der Grundlage der Vorschriften des IfSG seien davon unabhängig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Hinweis für die Praxis

Arbeitgeber sollten sich die vorgelegten ärztlichen Impfunfähigkeitsbescheinigungen stets genau ansehen. Ein ärztliches Zeugnis über die Impfunfähigkeit die ohne Voruntersuchung diagnostiziert wurde, entspricht nicht den Voraussetzungen des § 20a Abs. 2 Nr. 4 IfSG und die Vorlage einer solchen Bescheinigung kann dann eine ordentliche Kündigung rechtfertigen – ohne vorangegangene Abmahnung und unabhängig von einer langjährigen Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers.

Mit der ordentlichen Kündigung einhergehen, sollte konsequenterweise auch eine Freistellung des Arbeitnehmers von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung mit Wirkung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, da ungeimpfte Arbeitnehmer ohne ärztliches Zeugnis nicht mehr im Pflege- und Gesundheitssektor i.S.d. § 20a IfSG tätig werden dürfen. Dazu hat das Arbeitsgericht Gießen einen Tag vor der Verkündung des zugrundeliegenden Urteils bereits entschieden, dass für nicht geimpfte Arbeitnehmer kein Beschäftigungsanspruch besteht (vgl. Arbeitsgericht Gießen – Urteil vom 12.04.2022, Az. 5 Ga 1/22 und 5 Ga 2/22). Eine Vergütungspflicht dürfte für den Arbeitgeber dann ebenfalls entfallen. Die formellen Anforderungen an die Berufsausübung sind mangels Impfung oder Vorlage einer ordnungsgemäßen Impfunfähigkeitsbescheinigung bzw. frühen Schwangerschaft nicht erfüllt, so dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht (mehr) ordnungsgemäß anbieten kann. Eine gerichtliche Entscheidung zur Frage der Vergütung wird aufgrund der hohen Relevanz voraussichtlich nicht lange auf sich warten lassen.

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