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Erlöschen des Urlaubsanspruchs im Fall angeordneter Quarantäne

Das LAG Schleswig-Holstein hat in seinem Urteil vom 15. Februar 2022 (Az. 1 SA 208/21) entschieden, dass ein Arbeitgeber keinen Urlaub nachgewähren muss, wenn der sich im Urlaub befindliche Arbeitnehmer aufgrund eines Ansteckungsverdachtes mit einer Covid-19-Infektion – ohne infiziert zu sein – in Quarantäne muss.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Schleswig-Holstein liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Arbeitgeberin hatte dem klagenden Arbeitnehmer wie beantragt Urlaub für den Zeitraum vom 23. bis 31. Dezember 2020 gewährt. Nach einem Kontakt des Arbeitnehmers zu einer mit Covid-19 erkrankten Person ordnete das Gesundheitsamt gegenüber dem Kläger für den Zeitraum vom 21. Dezember 2020 bis 4. Januar 2021 die „Absonderung“, sprich Quarantäne an, d.h. er durfte seine Wohnung nicht verlassen und musste den Empfang von Besuchern sowie die Kontakt zu Mitbewohnern und Angehörigen einschränken. Der Kläger war aber nicht arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger begehrte beim Arbeitgeber die Gewährung von sechs zusätzlichen Urlaubstagen, während der Arbeitgeber den Urlaub als genommen ansah.

Der Kläger beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht Neumünster (Az.: Urteil vom 3. August 2021 – 3 Ca 362 b/21) die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger weitere sechs Urlaubstage aus dem Jahr 2020 zu gewähren. Der Kläger war insoweit der Auffassung, dass § 9 BUrlG zumindest analog anzuwenden sei. Die häusliche Quarantäne habe einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Arbeitnehmers dargestellt und sei mit den Einschränkungen bei „normaler Arbeitsunfähigkeit“ durchaus vergleichbar. Ferner sei ihm eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung nicht möglich gewesen.

Entscheidungsgründe

Dieser Argumentation des Klägers ist das LAG Schleswig-Holstein wie schon die Vorinstanz nicht gefolgt und wies die Berufung zurück.

Das LAG Schleswig-Holstein begründet seine Entscheidung damit, dass nach der Konzeption des BUrlG urlaubsstörende Ereignisse als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers fallen. Nur soweit der Gesetzgeber – so in §§ 9, 10 BUrlG oder die Tarifvertragsparteien besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, finde eine Umverteilung zu Gunsten des Arbeitnehmers statt. Der Kläger war im Urlaubszeitraum unstreitig nicht arbeitsunfähig erkrankt, sodass die Voraussetzungen des § 9 BUrlG nicht vorlägen.

Für eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.

Der im vorliegenden Fall zutreffende Begriff des „Ansteckungsverdächtigen“ sei als gesetzliche Kategorie seit langem bekannt und wurde vom BSeuchG in das IfSG übernommen, so das LAG. Seit mehr als 25 Jahren vertrete das BAG durchgehend die Auffassung, dass eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG auf andere ähnliche gelagerte Sachverhalte wegen des Ausnahmecharakters der Norm nicht in Betracht komme. Da dem Gesetzgeber die Regelungslücke auch bekannt sei und er z.B. im Falle des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots mit der Einführung von § 24 S. 2 MuSchG reagiert habe, müsse, so das LAG Schleswig-Holstein weiter, daher mangels Schaffung einer vergleichbaren Regelung im IfSG davon ausgegangen werden, dass § 9 BUrlG kein – auch keine analoge – Anwendung findet.

Das LAG führt weiter aus, dass der Fall der Absonderungsanordnung auch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nicht mit der Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs gleichzusetzen sei. Vorgaben für den Arbeitnehmer, wie er seinen Urlaub zu verbringen hat, gebe es nicht. Der Urlaubszweck selbst sei die Erholung. Wie der Arbeitnehmer sich erhole, bleibe ihm überlassen. Die analoge Anwendung von § 9 BUrlG könne demnach nicht davon abhängen, wie ein Arbeitnehmer im konkreten Fall beabsichtige, seinen Urlaub zu verbringen.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein liegt auf einer Linie mit den Entscheidungen des LAG Düsseldorf vom 15.10.2021 (Az.: 7 SA 857/21) und des LAG Köln vom 13.12.2021 (Az.: 2 Sa 488/21) zu dieser Frage. Eine gegenteilige Auffassung wurde vom LAG Hamm mit Urteil vom 27.01.2022 (Az.: 5 Sa 1030/21) vertreten. Eine höchstinstanzliche Klärung der Fragestellung bleibt somit abzuwarten.

Für den Arbeitgeber stellt die Entscheidung erstmal klar, Quarantäne ist der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht gleichzusetzen. Wer im Urlaub unter Quarantäne gestellt wird, hat keinen Anspruch auf Gewährung erneuten Urlaubs. Selbstverständlich steht es den Beteiligten natürlich frei, im gegenseitigen Einvernehmen etwas anderes zu vereinbaren, z.B. die Erbringung der Arbeitsleistung im Homeoffice während der Quarantänezeit und dafür die Nachgewährung des Urlaubs.

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