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Einstellung der Zwangsvollstreckung aus erstinstanzlichem Weiterbeschäftigungstitel

Das LAG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 25.02.2022 – 4 Sa 37/22 entschieden, dass es widersprüchlich und durch sachliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist, höhere Anforderungen an den Vollstreckungsschutz wegen nachträglich entstandener Einwendungen gegen einen Titel zu stellen, wenn zusätzlich anfängliche Einwendungen gegen den Titel im Wege eines Rechtsmittels erhoben werden. Insoweit ist § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG einschränkend auszulegen und § 769 ZPO entsprechend anzuwenden.

Sachverhalt

Dem Beschluss des LAG Düsseldorf liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem gegen sie gerichteten erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel.

Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich gekündigt hatte, hat das Arbeitsgericht auf die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien hierdurch nicht aufgelöst worden sei. Gleichzeitig hat das Arbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die Klägerin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat hiergegen Berufung eingelegt und mit weiteren Folgekündigungen das Arbeitsverhältnis zur Klägerin erneut jeweils außerordentlich gekündigt.

Da die Klägerin ihre Weiterbeschäftigung verlangt und Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil angekündigt hat, hat die Beklagte im Berufungsverfahren zugleich die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel begehrt.

Das LAG hat die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung einstweilen eingestellt.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i. V. m. Satz 2 ArbGG, § 719 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, § 707 Abs. 1 ZPO könne die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil, gegen das Berufung eingelegt wird, auf Antrag durch das Gericht einstweilig eingestellt werden, wenn die schuldende Partei glaubhaft macht, dass ihr die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.

a. Vorliegend habe die Beklagte zwar nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihr die Vollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungsurteil des Arbeitsgerichts einen nicht zu ersetzenden Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bringen würde. Denn die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Bestandsklage stelle für sich allein regelmäßig keinen unersetzbaren Nachteil dar, da mit der Arbeitsleistung die Arbeitgeberin einen Gegenwert erhalte.

b. Jedoch sei hinsichtlich der nachträglichen entstandenen Einwendung (Folgekündigung) § 769 Abs. 1 ZPO auch im Berufungsverfahren analog anzuwenden.

Es sei widersprüchlich und durch sachliche Gründe nicht zu rechtfertigen, höhere Anforderungen an den Vollstreckungsschutz wegen nachträglich entstandener Einwendungen gegen einen Titel zu stellen, wenn zusätzlich anfängliche Einwendungen gegen den Titel im Wege eines Rechtsmittels erhoben werden.

Der Schuldner könne nicht darauf verwiesen werden, neben der Einlegung des Rechtsmittels zusätzlich Vollstreckungsabwehrklage gegen das Urteil zu erheben. Die Einlegung des Rechtsmittels versperre dem Schuldner nach h.M. wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses den Weg zur Vollstreckungsabwehrklage und somit zur direkten Anwendung des § 769 Abs. 1 ZPO.

Hinweise für die Praxis

Ein titulierter Weiterbeschäftigungsanspruch ist nach § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorläufig vollstreckbar. Die vorläufige Vollstreckbarkeit kann gemäß § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG i. V. m.. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen werden, wenn der Schuldner glaubhaft macht, dass ihm die Vollstreckung einen unersetzlichen Nachteil bringen werde.

Nach Auffassung des LAG Düsseldorf, welche im Einklang mit der Ansicht mehrerer Instanzgerichte steht, bedarf es der Darlegung eines „nicht zu ersetzenden Nachteils“ dann nicht, wenn der Vollstreckungsschutzantrag auf beachtliche, den Weiterbeschäftigungsanspruch ausschließende materielle Einwendungen gestützt wird, die erst nach Erlass des arbeitsgerichtlichen Urteils entstanden sind. Dabei kann der Ausspruch einer Folgekündigung eine solche Einwendung gegen den titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch darstellen.

Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg habe der Schuldner zwar bis zum Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils die Wahl zwischen Berufung und Vollstreckungsabwehrklage und könne dabei die Möglichkeiten der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung in seine Entscheidung mit einbeziehen. Dies gilt aber nicht für die Fälle, in denen die nachträgliche Einwendung erst nach Ablauf der Berufungsfrist entsteht. Auch hier könne der Schuldner schon aus Kostengründen nicht darauf verwiesen werden, die Berufung dann teilweise wieder zurückzunehmen (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.06.2010 – 19 Sa 22/10, Rn. 25; siehe auch LAG Hamm, Beschluss vom 21.12.2010 – 18 Sa 1827/10).

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