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Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers bei Annahmeverzugslohnansprüchen

Das Landesarbeitsgericht Thüringen hat mit Urteil vom 06.09.2022 (Az. 1 Sa 427/20) entschieden, dass die Darlegungs- und Beweislast für das böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes – wie beim Vorhandensein eines anrechenbaren Verdiensts – dem Arbeitgeber obliegt.

Sachverhalt

Dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin wurde bei der Beklagten ab 1999 zunächst als leitende kaufmännische Angestellte beschäftigt. Ab dem 01.08.2002 wurde Sie auf Basis eines Geschäftsführeranstellungsvertrages Geschäftsführerin der Beklagten. Mit Gesellschafterbeschluss vom 29.10.2013 wurde die Klägerin abberufen, setzte ihre Tätigkeit für die Beklagte jedoch fort. Ihr Gehalt von zuletzt EUR 7.000,00 brutto blieb unverändert. Ausweislich des Geschäftsführeranstellungsvertrages standen der Klägerin ein Urlaubsgeld in Höhe eines halben Monatsgehaltes sowie jährlich 30 Urlaubstage zu. Mit Schreiben vom 27.02.2014 kündigte die Beklagte das bestehende Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 30.04.2014. Mit weiteren Schreiben vom 14.07.2014, 22.07.2014 und 29.09.2014 sprach die Beklagte weitere fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigungen aus, gegen welche sich die Klägerin gerichtlich zur Wehr setzte. Das Arbeitsgericht Gera entschied mit Urteil vom 29.01.2016, dass lediglich die letzte fristlose Kündigung vom 29.09.2014 wegen unerlaubter Konkurrenztätigkeit wirksam sei. Mit rechtskräftiger Entscheidung vom 13.12.2018 wurde die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom LAG Thüringen zurückgewiesen. Während des anhängigen Verfahrens wurde die Klägerin einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin bei einer Drittgesellschaft, der ABC-GmbH, eingetragen. Hierfür erhielt die Klägerin unstreitig keine Vergütung, sondern lediglich eine Gewinnbeteiligungszusage. Zudem wurden weder an die Klägerin noch an andere Gesellschafter Ausschüttungen ausbezahlt. Später wurde die „ABC GmbH“ persönlich haftende Gesellschafterin der am 19.02.2015 im Handelsregister eingetragenen „ABC GmbH & Co. KG“. An der „ABC GmbH & Co. KG“ war die Klägerin mit einem Anteil von EUR 10.000,00 als Kommanditistin beteiligt. Mit ihrer am 19.08.2016 beim Arbeitsgericht Gera eingegangenen und der Beklagten am 23.08.2016 zugestellten Klage hat die Klägerin Annahmeverzugslohnansprüche für den Zeitraum Mai bis September 2014, die Zahlung von Urlaubsgeld für 2014 in Höhe von EUR 3.500,00 brutto sowie Urlaubsabgeltungsansprüche für 2013 und 2014 geltend gemacht. Mit Urteil vom 19.11.2020 gab das Arbeitsgericht Gera der Klage in Bezug auf die genannten Ansprüche statt.

Entscheidungsgründe

Das LAG Thüringen hat die durch die Beklagte eingelegte Berufung im Wesentlichen zurückgewiesen. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn aus § 615 S. 1 BGB zu. Im Zeitraum Mai bis September 2014 habe zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden. Aufgrund rechtskräftiger Entscheidung des LAG Thüringen stehe fest, dass die Klägerin nach Abberufung als Geschäftsführerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vom 27.02.2014 als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen sei und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bis zum 01.10.2014 fortbestanden habe. Da die Unwirksamkeit der Kündigung vom 27.02.2014 zum 30.04.2014 gegeben sei, sei auch ein (wörtliches) Angebot der Klägerin in Bezug auf ihre Arbeitskraft entbehrlich gewesen. In diesen Fällen gerate der Arbeitgeber entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BAG durch den Ausspruch der rechtsunwirksamen ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist in Annahmeverzug. Die Klägerin müsse sich vorliegend auch keinen anderweitigen Verdienst nach § 11 Nr. 1 KSchG, § 615 S. 2 BGB anrechnen lassen. Die Klägerin habe im maßgeblichen Zeitraum Mai bis September 2014 keine anderweitigen Einkünfte erzielt noch habe sie für ihre Geschäftsführertätigkeit für die „ABC GmbH“ eine Vergütung erhalten. Wegen der erwirtschafteten Verluste sei auch keine Ausschüttung aus der Gewinnbeteiligungszusage erfolgt. Sie müsse sich ferner den Gegenwert ihrer späteren Kommanditistenbeteiligung nicht anrechnen lassen. Hiergegen spreche, dass nur solche Einkünfte anrechnungsfähig seien, die auf einer Verwertung der Arbeitskraft beruhten, nicht jedoch Einkünfte aus einer kapitalmäßigen Beteiligung. Weiterhin seien Einkünfte aus der Kommanditistenbeteiligung im fraglichen Zeitraum nicht generiert worden. Eine solche von der Klägerin bestrittene Verknüpfung der späteren Kommanditistenbeteiligung mit der seit Mai 2014 erfolgten Geschäftsführertätigkeit habe die Beklagte zwar in den Raum gestellt, aber nicht konkret dargetan. Welche vertragliche Gestaltung der späteren Kommanditistenstellung der Klägerin zugrunde liege, sei hingegen nicht dargelegt worden. In Anbetracht der die Beklagte mit Blick auf den anrechenbaren Verdienst aus § 11 Nr. 1 KSchG, § 615 S. 2 BGB treffenden Darlegungs- und Beweislast sei es jedoch ihre Pflicht, den konkreten Zusammenhang der späteren Gewährung der Kommanditistenbeteiligung im Sinne einer Gegenleistung für die Geschäftsführertätigkeit der Klägerin darzutun. Der Beklagten stehe ferner auch nicht der Einwand böswillig unterlassenen Erwerbs nach § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 S. 2 BGB zu. Denn auch hierfür liege die Darlegungs- und Beweislast beim Arbeitgeber. Vorliegend ergebe sich eine solche jedoch weder aufgrund der Übernahme einer unentgeltlichen Geschäftsführertätigkeit der Klägerin bei der „ABC GmbH“ noch aufgrund der Behauptung der Beklagten, die Klägerin hätte als studierte Betriebswirtin mit ihren Berufserfahrungen unschwer eine entgeltliche Tätigkeit im maßgeblichen Zeitraum finden können.

Hinweis für die Praxis

§ 615 BGB soll dem Arbeitnehmer sein Vergütungsanspruch für die Zeit erhalten, in der er aufgrund eines Annahmeverzugs seines Vertragspartners seine Dienste nicht erbringen kann. Gerade lange Kündigungsschutzverfahren bergen so ein hohes Kostenrisiko für den Arbeitgeber. Allerdings soll der Arbeitnehmer auch nicht finanziell bessergestellt werden, als er ohne Annahmeverzug stünde. Daher muss sich der Arbeitnehmer stets dasjenige anrechnen lassen, was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Der Arbeitgeber hat hierbei jedoch den Beweis zu führen, dass es der Arbeitnehmer auch tatsächlich in der Hand hatte, entsprechend der ihn treffenden Treuepflicht Schaden vom Arbeitgeber abzuwenden, er gleichwohl diese Möglichkeit ohne vernünftigen Grund nicht wahrgenommen hat. Es empfiehlt sich daher in der Praxis zur Reduktion des Annahmeverzugslohnrisikos dem Arbeitnehmer eigenhändig passende Stellenausschreibungen zuzusenden. Auch die Auskunft über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit sollte in diesem Kontext stets – ggf. auch klagweise bzw. im Rahmen des Verfahrens – geltend gemacht werden.

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