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Beschäftigungsanspruch eines „Riders“ als Mitglied des Wahlvorstandes trotz Kündigung

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass ein als Kurierfahrer beschäftigter Arbeitnehmer, der gleichzeitig Mitglied des Wahlvorstandes war, trotz ausgesprochener Kündigung vorläufig beschäftigt werden muss (LAG Berlin-Brandenburg vom 12.01.2022– 23 SaGa 1521/21).

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Brandenburg liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Arbeitgeber, ein Kurierdienst, sprach gegenüber einem als „Rider“ beschäftigten Arbeitnehmer eine außerordentliche fristlose Kündigung aus. Als Begründung führte der Arbeitgeber an, der „Rider“ habe sich an einem illegalen Streik beteiligt.

Der gekündigte Arbeitnehmer begehrte im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens seine weitere tatsächliche Beschäftigung über den Kündigungszeitpunkt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigung. Der Arbeitnehmer war der Auffassung, die Kündigung sei offensichtlich unwirksam, weil er Mitglied des Wahlvorstandes für die anstehende Betriebsratswahl sei und die erforderliche Zustimmung nach § 103 BetrVG nicht eingeholt worden sei.

Während das Arbeitsgericht den Antrag des Klägers noch abgelehnt hat, gab das LAG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 12.01.2022 diesem statt.

Entscheidungsgründe

Das LAG Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil ausgeführt, dass sowohl der erforderliche Verfügungsanspruch als auch der Verfügungsgrund vorliege. Es sei von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung auszugehen. Da der Arbeitnehmer gemäß seiner von ihm glaubhaft gemachten Angaben zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Mitglied des Wahlvorstandes gewesen und damit vom besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 KSchG erfasst sei, hätte der Arbeitgeber aufgrund des Sonderkündigungsschutzes für die Kündigung gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrates bedurft. Da der Betriebsrat die Zustimmung nicht erteilt hat, hätte der Arbeitgeber die vorherige Zustimmungsersetzung nach § 103 Abs. 2 BetrVG gerichtlich einholen müssen, was er aber nicht getan hat. Da von einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis auszugehen sei, sah das LAG Berlin-Brandenburg den Verfügungsanspruch als gegeben an.

Der Verfügungsgrund, nämlich die Eilbedürftigkeit und damit die Durchsetzbarkeit des Anspruchs, liegt gemäß der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ebenfalls vor, da einerseits das Recht des Arbeitnehmers auf Beschäftigung sonst durch Zeitablauf unwiederbringlich verloren sei und andererseits kein berechtigtes Interesse der Arbeitgeberin an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes angenommen werden könne. Ausgehend hiervon überwiege auch im Hinblick auf den Zweck des gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes das Beschäftigungsinteresse.

Hinweise für die Praxis

Gerade jetzt – so kurz vor den anstehenden Betriebsratswahlen – muss daran erinnert werden, dass nicht nur Betriebsratsmitgliedern, sondern u.a. auch dem Wohlvorstand und den Wahlbewerbern umfassender Kündigungsschutz zusteht. Dazu gehört auch die Einholung der Zustimmung des Betriebsrats und wenn dieser nicht zustimmt, die gerichtliche Einholung der Zustimmung im Zustimmungsersetzungsverfahren (§ 103 BetrVG). Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg zeigt, dass die tatsächliche Teilnahme an den Wahlen nicht durch eine außerordentliche, fristlose Kündigung faktisch verhindert werden kann, wenn diese wie im vorliegenden Fall offensichtlich unwirksam ist.

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