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Beendigung des Verfahrens durch eine fingierte Klagerücknahme

Das LAG Sachsen hat mit Urteil vom 16.06.2022 – 9 Sa 24/22 entschieden, dass der Antrag auf streitige Verhandlung nach § 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG bereits vor der Beschlussfassung über die Anordnung des Ruhens gestellt werden kann. Eine Beendigung des Verfahrens durch eine fingierte Klagerücknahme war daher im vorliegenden Fall nicht anzunehmen.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Sachsen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem das Arbeitsgericht nach Eingang der Klage Gütetermin auf den 20.10.2020 bestimmt hatte, teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 13.10.2020 mit, dass die Prozessbevollmächtigten vereinbart hätten, dass weder die Parteien noch die Vertreter zum Gütetermin erscheinen werden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers bestätigte dies mit Schriftsatz vom 16.10.2020 wie folgt:„ … und bestätigen, dass auch auf der Klägerseite vom Erscheinen zum Gütetermin am 20.10.2020 abgesehen wird. Das Gericht wird im Übrigen um weitergehende prozessleitende Verfügungen gebeten.“

Dem folgend erschien nach Aufruf der Sache im Gütetermin niemand. Das Arbeitsgericht ordnete im Beschlusswege das Ruhen des Verfahrens wie folgt an: „Gemäß § 54 Abs. 5 ArbGG wird das Ruhen des Verfahrens angeordnet.“

Nach Ablauf von sechs Monaten, in denen seitens der Parteien keine Schriftsätze bei Gericht eingingen, verfügte der Vorsitzende am 23.04.2021, dass das Verfahren als erledigt betrachtet werde, weil die Sache länger als sechs Monate von keiner der Parteien betrieben wurde.

Mit Schreiben vom 07.05.2021 bat der Klägervertreter „nochmals“ um Sachstandsmitteilung zum weiteren Verfahrensablauf. Daraufhin wurde ihm mit gerichtlichem Schreiben vom 11.05.2021 mitgeteilt, dass es keinen weiteren Verfahrensablauf geben werde, weil die Klage als zurückgenommen gelte.

Mit Schriftsatz vom 26.05.2021 beantragte der Kläger, das ruhende Verfahren wieder aufzunehmen und Termin zur streitigen Verhandlung zu bestimmen. Wegen der Versäumung der „Antragsfrist“ des § 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, welcher das Arbeitsgericht nicht stattgab. Ferner stellte das Arbeitsgericht fest, dass die Klage als zurückgenommen gelte. Die hiergegen erhobene Berufung des Klägers vor dem LAG hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des LAG habe das Arbeitsgericht zwar zu Recht erkannt, dass kein Fall der Wiedereinsetzung vorliege, da es sich bei der Frist von sechs Monaten nach § 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG um keine Notfrist handele.

Jedoch sei hier das Verfahren auf den bereits vorliegenden Antrag des Klägers fortzusetzen gewesen. Mit der Bitte um weitergehende prozessleitende Verfügungen habe jedenfalls ein Antrag auf Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung vorgelegen. Dieser Antrag könne jedenfalls bei konkretem Anlass – wie hier – bereits vor der Beschlussfassung über das Ruhen gestellt werden.

Der Wortlaut des § 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG gehe zwar dahin, dass der Antrag auf Bestimmung eines Termins zur streitigen Verhandlung „nur innerhalb von sechs Monaten nach der Güteverhandlung gestellt werden“ könne. Dies sei jedoch dahingehend zu verstehen, dass sich das Wort „nur“ auf die Frist von sechs Monaten beziehe, nicht aber auf die Worte „nach dem Gütetermin“.

Es bestehe auch ein rechtliches Interesse der Parteien, den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens nach § 54 Abs. 5 ArbGG vorzeitig zu stellen, wenn bereits feststeht, dass eine gütliche Einigung nicht zu erwarten ist und deshalb – wie hier – beide Parteien zum Gütetermin nicht erscheinen. Dem Interesse einer Verfahrensbeschleunigung wäre nicht gedient, wenn die Parteien erst den Beschluss abwarten müssten, womöglich sogar den Zugang des Protokolls, um dann erst den von Beginn an gewollten Antrag auf Bestimmung eines Kammertermins wirksam stellen zu können.

Hinweise für die Praxis

Erscheinen oder verhandeln beide Parteien in der Güteverhandlung nicht, so ist nach § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

Zu beachten ist jedoch, dass die Klage entsprechend nach § 269 ZPO als zurückgenommen gilt, wenn die Parteien nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Gütetermin den Antrag auf Terminierung der streitigen Verhandlung stellen (§ 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG). Zwar entspricht es nicht dem Regelfall, dass Vergleichsverhandlungen länger als sechs Monate andauern, jedoch ist zu empfehlen, das Verfahren wieder innerhalb der Frist aufzurufen, um die Rücknahmefiktion zu verhindern. Einer erneuten Klageerhebung steht die Vorschrift in einem solchen Fall nicht entgegen, allerdings können dann bereits Klagefristen versäumt sein, z.B. die dreiwöchige Klagefrist in Kündigungsschutzprozessen gemäß § 4 Satz 1 KSchG oder zweistufige Ausschlussfristen.

Wurde im Zusammenhang mit der Fristenberechnung bislang davon ausgegangen, dass der Antrag auf streitige Verhandlung innerhalb von sechs Monaten, gerechnet ab dem Gütetermin, zu stellen sei, stellt das LAG Sachsen nunmehr klar, dass der Antrag auf streitige Verhandlung nach § 54 Abs. 5 Abs. 3 ArbGG bereits vor der Beschlussfassung über die Anordnung des Ruhens gestellt werden könne. Da bislang zu dieser Rechtsfrage keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, wurde zugleich die Revision zum BAG zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, wie das BAG hierzu entscheiden wird.

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