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Benachteiligung von Teilzeitkräften

Teilzeitbeschäftigte werden benachteiligt, wenn bei der Zahlung einer tariflichen "Mehrflugdienststundenvergütung" ab einer bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden nicht zwischen Voll- und Teilzeitkräften differenziert wird. Dies hat der EuGH hat mit Urteil vom 19.10.2023 (C-660/20) entschieden.

Sachverhalt

Dem Urteil des EuGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Arbeitnehmer ist als Pilot und Erster Offizier seit 2001 bei der Fluggesellschaft Lufthansa CityLine beschäftigt. Er arbeitet seit 2010 in Teilzeit und hat seine Arbeitszeit auf 90 Prozent der Vollarbeitszeit verringert. Dafür erhält er eine um zehn Prozent ermäßigte Grundvergütung. In der Praxis wird das Teilzeitbeschäftigungsverhältnis so umgesetzt, dass er zusätzlich 37 freie Tage im Jahr erhält. An seinen Einsatztagen sind seine Flugdienststunden jedoch nicht reduziert.

Nach den einschlägigen Tarifverträgen für das Cockpitpersonal erhalten Beschäftigte eine "Mehrflugdienststundenvergütung", wenn sie eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung überschritten ("ausgelöst") haben. Diese sogenannten Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmende in Teilzeit und in Vollzeit. Der Pilot verlangt vom Arbeitgeber die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Flugdienststunden, die er im Verhältnis zu seiner individuellen Arbeitszeit mehr geleistet hat. Nach seiner Auffassung sind die tariflichen Bestimmungen unwirksam, da sie Teilzeitbeschäftigte ohne sachlichen Grund schlechter als Arbeitnehmende in Vollzeit behandelten. Die Auslösegrenzen für die Zusatzzahlung müssten proportional für Teilzeitbeschäftigte abgesenkt werden. Der Arbeitgeber hält die Tarifnormen dagegen für wirksam. Die Zusatzvergütung für Mehrflugdienststunden diene dazu, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Diese bestehe aber erst, wenn die tariflichen Auslösegrenzen überschritten seien.

Das BAG hat mit Beschluss vom 11.11.2020 (10 AZR 185/20) dem EuGH verschiedene Fragen nach einer Vereinbarkeit mit Unionsrecht vorgelegt. Der EuGH sollte klären, ob es eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten darstellt, wenn die zusätzliche Vergütung nicht bei individuellen Auslösegrenzen, sondern ab einer identischen Zahl an Arbeitsstunden für Teilzeit- und Vollzeitkräfte erfolgt. Zudem wollten die Erfurter Richter wissen, ob eine mögliche Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten gerechtfertigt sein kann, wenn damit eine besondere Arbeitsbelastung ausgeglichen werden soll.

Entscheidungsgründe

Die Frage hat der EuGH dahingehend beantwortet, dass eine solche nationale Regelung für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmende diskriminiert, es sei denn, diese Behandlung werde durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Dass damit eine besondere Arbeitsbelastung bei dieser Tätigkeit ausgeglichen werden solle, überzeugte den Gerichtshof nicht. In der Begründung führte er aus, dass die teilzeitbeschäftigten Piloten den gleichen den Flugdienst ausüben wie vollzeitbeschäftigte Piloten, also während der Zeit ihrer Beschäftigung die gleichen Aufgaben wahrnehmen und auf der gleichen Arbeitsstelle tätig werden, wie die vollzeitbeschäftigten Kollegen. Damit sei die Situation beider Arbeitnehmerkategorien vergleichbar. Diese Voraussetzung habe das BAG jedoch zu überprüfen. Weiter stellte der EuGH fest, dass ein teilzeitbeschäftigter Pilot die Mehrvergütung nicht mit der ersten Stunde erhält, mit der seine individuelle Auslösegrenze überschritten wird, sondern erst dann, wenn die für vollzeitbeschäftigte Flugzeugführer geltende Auslösegrenze überschritten wird. Somit müsse der teilzeitbeschäftigte Pilot, um die Mehrvergütung zu erhalten, dieselbe Zahl Flugdienststunden wie ein vollzeitbeschäftigter Pilot arbeiten, ohne dass diese Schwelle nach Maßgabe seiner individuellen Arbeitszeit herabgesetzt wird.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des EuGH überrascht nicht, eher die Tatsache, dass das BAG das Vorlageersuchen gestellt hat. Denn bereits im Jahr 2018 hatte das BAG bestimmt, dass ein Tarifvertrag, der Ansprüche auf Mehrarbeitszuschläge erst begründet, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten wird, § 4 Abs. 1 TzBfG verletze (BAG v. 19.12.2018, 10 AZR 231/18). Seither war es gängige Auffassung, dass eine (erhöhte) Vergütung von Überstunden nicht daran geknüpft werden kann, dass die Stundenzahl der Vollzeitbeschäftigten überschritten wird. Es kommt für die Zahlung von Zuschlägen vielmehr auf das Übersteigen der vertraglichen (persönlich geschuldeten) Leistungsverpflichtung an. An diesem Grundsatz kann angesichts der jüngsten EuGH-Entscheidung nunmehr kein Zweifel mehr bestehen.

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