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Die Fallstricke des Kleinbeteiligtenprivilegs gem. § 39 Abs. 5 InsO

Für einen nicht geschäftsführenden Gesellschafter, der lediglich mit 10 Prozent oder weniger am Haftkapital der Gesellschaft beteiligt ist, kann im Falle der Insolvenz der Gesellschaft das sogenannte Kleinbeteiligtenprivileg gem. § 39 Abs. 5 InsO greifen. Die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen und/oder gleichwertigen Forderungen dieser „kleinbeteiligten“ Gesellschafter werden dann nicht gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO als nachrangig, also im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger, behandelt. In einer aktuellen Entscheidung arbeitet der BGH wesentliche Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs heraus.

Sachverhalt

Der Entscheidung des BGH lag eine Insolvenzanfechtung einer darlehensgleichen Forderung eines Gesellschafters durch den Insolvenzverwalter gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO zugrunde.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen im Juli 2019 ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte ist Gesellschafter dieser GmbH und hält 10 Prozent der Geschäftsanteile; bis Dezember 2017 war er auch Geschäftsführer der GmbH. Im Juli 2017 hatte die Gesellschafterversammlung der GmbH einen Gewinnvortrag von insgesamt EUR 685.000,00 beschlossen. In einer weiteren Gesellschafterversammlung im Juni 2018 ist schließlich die Ausschüttung dieses Betrags an die Gesellschafter entsprechend der Beteiligungsverhältnisse beschlossen worden. Die GmbH zahlte in Ausführung des Beschlusses noch im Juni 2018 EUR 68.500,00 an den Beklagten. Der Beklagte stimmte jeweils mit der Mehrheitsgesellschafterin.

Nachdem das LG Köln der Klage stattgegeben und das OLG Köln auf Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen hatte, begehrt der Kläger mit der von dem Senat zugelassenen Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Urteil des BGH vom 20.04.2023 – Az. IX ZR 44/22

Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen und dabei einige umstrittene Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Kleinbeteiligtenprivileg geklärt:

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs:

Der BGH schafft hinsichtlich des Zeitpunkts für das Vorliegen der Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs Klarheit und begrenzt den Zeitraum grundsätzlich auf den Jahreszeitraum des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Eine in der Literatur vertretene Auffassung, wonach die Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs bereits im Zeitpunkt der Darlehensgewährung bzw. einer darlehensgleichen Leistung vorgelegen haben müssten, eine spätere Verringerung der Beteiligung auf 10 Prozent oder weniger bzw. eine spätere Aufgabe der Tätigkeit als Geschäftsführer der Gesellschaft also nicht genüge, hat der BGH damit ausdrücklich verworfen. Aus der Entscheidung des BGH folgt vielmehr, dass das Kleinbeteiligtenprivileg grundsätzlich anwendbar ist, wenn der Gesellschafter die Geschäftsführung (mindestens) ein Jahr vor Insolvenzantragstellung gem. § 135 I Nr. 2 InsO niedergelegt hatte und seine Beteiligung innerhalb dieses Jahreszeitraums höchstens 10 Prozent betrug.

Daneben stellt der BGH noch einmal heraus, dass auch eine Beteiligung von genau 10 Prozent unter das Kleinbeteiligtenprivileg fällt und eine einschränkende Auslegung des Gesetzeswortlauts im Sinne einer Beschränkung auf Beteiligungen von weniger als 10 Prozent ausscheidet.

2. Ausnahme – Koordinierte Finanzierung:

Eine abweichende Bewertung der Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivileg kann sich nach der Entscheidung des BGH weiterhin bei einer sogenannten koordinierten Finanzierung der Gesellschaft ergeben. Diese könne zu einer wechselseitigen Zurechnung der Anteile der an der koordinierten Finanzierung beteiligten Gesellschafter führen, so dass ggf. die Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs entfalle. Dabei sei es laut BGH nicht relevant, ob die Finanzierung vor oder nach Eintritt der Krise der Gesellschaft vorgenommen worden ist. Maßgeblich sei vielmehr allein die Übernahme einer über den nominellen Gesellschaftsanteil hinausgehenden, überschießenden unternehmerischen Verantwortung des Kleinbeteiligten. Ob dies der Fall ist, bedürfe einer Prüfung im Einzelfall. Das bloße Einvernehmen der Gesellschafter bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung bzw. die Zustimmung eines Kleinbeteiligten zur Beschlussfassung genüge hierfür jedoch genauso wenig wie die Stellung eines Gesellschafters als Geschäftsführer.

3. Auswirkungen der gesellschafterlichen Treuepflicht:

Zuletzt stehe einer Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs auch nicht die nach Aufgabe seiner Geschäftsführertätigkeit fortbestehende gesellschafterlichen Treuepflicht des Beklagten als Gesellschafter der GmbH entgegen. Zwar erstrecke sich der Anwendungsbereich der gesellschafterlichen Treuepflicht sowohl auf das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft als auch auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Der Gesellschafter hat dabei die Pflicht zur Förderung des Gesellschaftszwecks und der Gesellschaftsinteressen. Von der Treuepflicht seien dagegen weder der Erhalt der künftigen Insolvenzmasse noch der Schutz der Gläubiger der Gesellschaft erfasst. Aus diesem Prinzip könne daher nichts für die Frage hergeleitet werden, ob eine Anfechtung nach § 135 I Nr. 2 InsO weiterhin durchgreift, wenn die Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs erst nach der Darlehensgewährung, aber außerhalb des Anfechtungszeitraums herbeigeführt werden.

Praxishinweis

Der BGH schafft mit seiner Entscheidung mehr Rechtssicherheit für die Behandlung von Kleinbeteiligten in der Insolvenz. So begrenzt der BGH den Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs erfüllt sein müssen, auf den Jahreszeitraum des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, so dass nunmehr ein klarer Anknüpfungszeitpunkt für die Beurteilung gegeben ist. Der BGH arbeitet in seiner Entscheidung den Willen des Gesetzgebers zur zeitlichen Begrenzung des Beurteilungszeitraums für die Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs heraus und weist eine einschränkende Auslegung der 10 %-Schwelle einmal mehr ausdrücklich zurück. Auch die wechselseitige Zurechnung der Anteile der an der koordinierten Finanzierung beteiligten Gesellschafter unter der Bedingung einer über den nominellen Gesellschaftsanteil hinausgehenden, überschießenden unternehmerischen Verantwortung des Kleinbeteiligten dürfte im Lichte des Schutzgedanken des Kleinbeteiligtenprivilegs sachgerecht sein.

In der Praxis gilt es für den Kleinbeteiligten unabhängig von einer drohenden bzw. bestehenden Krise der Gesellschaft insbesondere im Falle einer beabsichtigten koordinierten Finanzierung die Auswirkungen auf den (Fort-)Bestand des Kleinbeteiligtenprivilegs ausführlich abzuwägen. Die Vorteile einer koordinierten Finanzierung können durch Risiken für die (etwaige) spätere Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs deutlich überwogen werden. So drohen bei Nichtanwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs in der Insolvenz der Gesellschaft auch für den kleinbeteiligten Gesellschafter u.a. die Anfechtung von (Rück-)Zahlungen an den Gesellschafter im letzten Jahr vor Insolvenantragstellung durch den Insolvenzverwalter sowie die Nachrangigkeit von offenen Forderungen des kleinbeteiligten Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Voraussetzungen einer koordinierten Finanzierung unter der Bedingung einer über den nominellen Gesellschaftsanteil hinausgehenden, überschießenden unternehmerischen Verantwortung des Kleinbeteiligten vom BGH nicht abschließend beleuchtet worden sind und von einer Einzelfallbetrachtung abhängen. Vor der Durchführung einer koordinierten Finanzierung ist entsprechend eine eingehende fachliche Beratung anzuraten.

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