christoph fingerle arbeitsrecht webp 1.jpg

Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch katholischen Arbeitgeber wegen Kirchenaustritts der Mitarbeiterin bei gleichzeitiger Beschäftigung anderer Mitarbeiter, die nicht der katholischen Kirche angehören?

Das Bundesarbeitsgericht hat dazu in einem Revisionsverfahren Vorlagefragen an den europäischen Gerichtshof gerichtet.

Sachverhalt

Dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der beklagte Verein ist ein Frauen- und Fachverband in der katholischen Kirche in Deutschland, der sich der Hilfe für Kinder, Jugendliche, Frauen und ihre Familien in besonderen Lebenslagen widmet. Zu seinen Aufgaben gehört die Beratung von schwangeren Frauen. Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit dem Jahr 2006 in der Schwangerschaftsberatung beschäftigt. Von Juni 2013 bis zum 31. Mai 2019 befand sie sich in Elternzeit. Die Klägerin erklärte im Oktober 2013 vor einer kommunalen Behörde ihren Austritt aus der katholischen Kirche. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Elternzeit am 1. Juni 2019 außerordentlich ohne Einhaltung einer Frist, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2019. Zuvor hatte der Beklagte erfolglos versucht, die Klägerin zum Wiedereintritt in die katholische Kirche zu bewegen. Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte der Beklagte in der Schwangerschaftsberatung vier Arbeitnehmerinnen, die der katholischen Kirche und zwei Arbeitnehmerinnen, die der evangelischen Kirche angehörten.

Die Vorinstanzen haben beide Kündigungen für unwirksam gehalten. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Verfahren über die Revision des Beklagten ausgesetzt und den EuGH um die Beantwortung von nachfolgenden Fragen zur Auslegung des Unionsrechts ersucht:

  • Ist es mit Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta), vereinbar,

    wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht,

    von den für sie arbeitenden Personen verlangen kann, während des Arbeitsverhältnisses nicht aus einer bestimmten Kirche auszutreten

    oder den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen darf, dass eine für sie arbeitende Person, die während des Arbeitsverhältnisses aus einer bestimmten Kirche ausgetreten ist, dieser wieder beitritt,

    wenn sie von den für sie arbeitenden Personen im Übrigen nicht verlangt, dieser Kirche anzugehören

    und die für sie arbeitende Person sich nicht öffentlich wahrnehmbar kirchenfeindlich betätigt?
  • Sofern die erste Frage bejaht wird: Welche gegebenenfalls weiteren Anforderungen gelten gemäß der RL 2000/78/EG im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta an die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung wegen der Religion?

Entscheidungsgründe

Das Bundesarbeitsgericht hat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Auslegung des Unionsrechts zu der Frage ersucht, ob ein der katholischen Kirche zugeordneter Arbeitgeber, der von den bei ihm tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören, das Arbeitsverhältnis allein aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft zur katholischen Kirche kündigen darf, wenn der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche austritt.

Es bedürfe der Klärung, ob die Ungleichbehandlung der Klägerin mit Arbeitnehmern, die niemals Mitglied der katholischen Kirche waren, vor dem Hintergrund des durch Art. 10 Abs. 1, Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf gewährleisteten Schutzes vor Diskriminierungen u.a. wegen der Religion gerechtfertigt sein kann.

Hinweis für die Praxis

Aus der Tatsache, dass das Bundesarbeitsgericht diese Fragen zur Auslegung des Unionsrechts dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat, darf geschlossen werden, dass nach seiner Auffassung nach deutschem nationalen Recht eine Kündigung gerechtfertigt wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die verfassten Kirchen bis zur Grenze des ordre public autonom bestimmen dürfen, welche ihrer Mitarbeiter »verkündigungsnah« tätig werden und welche Anforderungen an diese Mitarbeiter gestellt werden, wäre dies konsequent.

Ob der Europäische Gerichtshof diese sehr weit reichende kirchliche Autonomie innerhalb des staatlichen Kündigungsschutzrechts – gerade im Hinblick auf die Problematik einer etwaigen Ungleichbehandlung – mittragen wird, darf zumindest bezweifelt werden.

Kontakt > mehr