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Massenentlassungsanzeige

Das BAG hat mit Beschluss vom 14.12.2023 [6 AZR 155/21(B)] mitgeteilt zu beabsichtigen, seine Rechtsprechung aufzugeben, dass eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung wegen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB unwirksam ist, wenn im Zeitpunkt ihrer Erklärung keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG vorliegt.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Die Arbeitgeberin hatte mehrere betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen. Bei der Maßnahme handelte es sich um eine nach § 17 KSchG anzeigepflichtige Massenentlassung. Die Massenentlassung wurde vor Ausspruch der Kündigungen der Agentur für Arbeit angezeigt. Im Verlauf des vorangegangenen Konsultationsverfahrens hatte der Betriebsrat zwar eine Mitteilung gem. § 17 Abs. 2 KSchG erhalten, eine Abschrift dieser Mitteilung wurde jedoch nicht gem. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG an die Agentur für Arbeit zugeleitet. Die Kündigungsschutzklage des Klägers blieb vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht erfolglos. Das BAG stellte in der Revisionsinstanz fest, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf ankomme, ob die Kündigung nach § 134 BGB wegen des Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Unterrichtung der Agentur für Arbeit gem. § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG nichtig sei. Dies sei anzunehmen, wenn der Schutzzweck des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG (Umsetzung von Art. 2 Abs. 3 Unterabsatz 2 der Massenentlassungsrichtlinie (MERL)) zumindest auch der individuelle Schutz der Arbeitnehmer sei. Das BAG hat diese Frage dem EuGH vorgelegt [BAG vom 27.1.2022, 6 AZR 155/21(A)]. Mit Entscheidung vom 13.7.2023 (C-134/22) hat der EuGH festgestellt, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Behörden in einem frühen Stadium beabsichtigter Massenentlassungen Informationen darüber mitzuteilen, keinen Individualschutz zu Gunsten der Arbeitnehmer vermittelt.

Entscheidungsgründe

Das BAG ha angekündigt, seine Rechtsprechung, dass eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung wegen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB unwirksam ist, wenn im Zeitpunkt ihrer Erklärung keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG vorliegt, aufzugeben. Die beabsichtigte Rechtsprechungsänderung weicht allerdings von der Rechtsprechung des Zweiten Senats ab. Der Sechste Senat hat dieses Verfahren daher nach § 148 ZPO ausgesetzt und in dem Parallelverfahren [6 AZR 157/22 (B)] mit Beschluss vom 14.12.2023 nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG angefragt, ob der Zweite Senat an seiner (abweichenden) Rechtsprechung festhalte.  

Hinweise für die Praxis

Sofern der Zweite Senat des BAG der Abweichung zustimmt, kann der Sechste Senat, wie angekündigt entscheiden. Stimmt der Zweite Senat der Abweichung nicht zu, so ist die zu entscheidende Rechtsfrage in einem Beschluss festzustellen und anschließend dem Vorsitzenden des Großen Senats zu unterbreiten (§ 45 Abs. 3 ArbGG). Der Sechste Senat kann von einer Weiterverfolgung der Sache jedoch auch absehen und sich der Rechtsansicht des Zweiten Senats, bei dem angefragt wurde, anschließen, so dass es zu keiner Divergenz kommt. Eine Bindung an den Anfragebeschluss besteht nicht. Es bleibt zu hoffen, dass das BAG seine für Arbeitgeber nachteilige Rechtsprechung aufgibt und Kündigungen zukünftig nicht mehr an der fehlenden oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige scheitern.

Arbeitgebern ist gleichwohl unverändert anzuraten, sich zumindest an die übrigen Anforderungen des § 17 KSchG zu halten, um eine mögliche Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung zu vermeiden, auch wenn dies nun für den Fall des Verstoßes § 17 Abs. 3 KSchG verneint wurde. Denn die Frage, wie sich andere Fehler im Konsultations- und Anzeigeverfahren auf die Wirksamkeit einer Kündigung auswirken werden, bleibt weiterhin offen.

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