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EuGH: Kippt das (technische) Normungssystem („DIN/EN“) in Europa? – Freier Zugang zu harmonisierten Normen

Der Europäische Gerichtshof („EuGH“) hat jüngst mit Urteil vom 05.03.2024 (Rechtssache C-588/21 P) entschieden, dass EU-Bürger gegenüber der Europäischen Kommission ein Recht auf kostenlose Einsicht in (bestimmte) harmonisierte Europäische Normen besitzen, wenn diese Normen konkrete Sicherheitsanforderungen an Produkte oder Dienstleistungen festlegen. Konkret ging es im streitgegenständlichen Fall um technische Normen für Spielzeugwaren.

Sachverhalt

Der Internetaktivist Carl Malamud hatte über dessen Gesellschaft (eine „Incorporated“, kurz „Inc.“, vergleichbar mit der GmbH) mehrfach internationale (auch deutsche) technische Normen (u.a. DIN-Normen) ins Internet gestellt und wurde dafür mehrfach wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt. Schon im EuGH-Urteil zu „James Elliott“ (Rechtssache C-613/14) hatte der EuGH, wenngleich beiläufig erwähnt, dass harmonisierte Europäische Normen „Teil des Unionsrechts“ seien, und wenn dem so sei, es auch einen freien (und eben nicht kostenpflichtigen) Zugang zu diesen Normen (für interessierte Kreise) geben müsse, so ein Hauptaspekt der Klage. Im Fall „Malamud“ hatte die Europäische Kommission im Jahr 2018 den Antrag auf (kostenlosen) Zugang noch mit der Begründung abgelehnt, dass wenn die Verbreitung den Schutz geschäftlicher Interessen bezwecke, wenigstens ein überwiegendes öffentliches Interesse die Verbreitung des betreffenden Dokuments rechtfertigen müsste, und bekam damit in erster Instanz auch recht.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH kam nunmehr allerdings zu dem Ergebnis, dass (jedenfalls) die (beantragten) harmonisierten Normen (zur Sicherheit von Spielzeug) Teil des Unionsrechts sind, und damit einen freien (kostenlosen) Zugang verlangen; schloss den Urheberrechtsschutz für harmonisierte Normen jedoch zugleich auch nicht generell aus.

Zudem bejahte der EuGH auch, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse sehr wohl bestehe, denn ohne Kenntnis dieser Normen (zur Sicherheit von Spielzeug) wüssten EU-Bürger nicht, welche konkreten Anforderungen das EU-Recht an eben diese Produkte stelle.

Praxishinweis

Es klingt auf Anhieb so, als ginge es in der Entscheidung nur um die Kosten, die zu zahlen sind, um (in Deutschland etwa über den Beuth Verlag) einschlägige Normen zu erhalten. Die Thematik dahinter ist aber wesentlicher. Die derzeit vielfach diskutierten Folgen sind gravierend, ggfs. sogar für die gesamte Industrie Europas: Das bisherige Normungssystem könnte – die Gefahr wird von Spezialisten bereits kritisch erwähnt – kippen, weil das System nicht (mehr) finanzierbar sei, bis hin „zu Folgen in den Nationalismus“ („Kleinstaaterei“). Wie etwa das DIN gesichert werden soll, scheint derzeit offen, langfristige Planungen erscheinen jedenfalls unsicher.

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