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D&O-Versicherung: Spontane Anzeigepflicht – Kein D&O-Versicherungsschutz für Strohmann-Geschäftsführer

Der D&O-Versicherer einer GmbH kann deren versicherten (bloß) formellen Geschäftsführer den Einwand der arglistigen Täuschung entgegenhalten, wenn dieser bei Antragsstellung nicht offenlegt, dass er zur tatsächlichen Erfüllung der Geschäftsführerpflichten weder bereit noch imstande ist. Verschweigt er, dass stattdessen ein faktischer Geschäftsführer die Geschäfte führt, dessen Eintragung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in Frage kommt, er mithin selbst nur als sog. Strohmann agiert, liegt darin eine relevante Täuschungshandlung (Oberlandesgericht Hamm, Hinweisbeschluss vom 28.02.2024, Az.: 20 U 224/23). Dies sogar dann, wenn der Versicherer zwar auf sein Anfechtungsrecht verzichtet hat, die Versicherungsbedingungen jedoch einen Ausschluss wegen arglistiger Täuschung vorsehen.

Sachverhalt

Dem Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, Geschäftsführer einer GmbH, begehrt von der beklagten Versicherung Deckungsschutz für die Abwehr von Geschäftsführerhaftungsansprüchen wegen von der Gesellschaft getätigten Zahlungen nach Insolvenzreife. Die Versicherungsnehmerin, eine GmbH, hatte bei der Beklagten eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter (in Englisch „Directors & Officers Liability Insurance“, kurz „D&O-Versicherung“) abgeschlossen. Den diesbezüglichen Antrag hatte der Kläger unterzeichnet. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (kurz „AVB“) enthielten eine Klausel, wonach der Versicherer zwar auf die Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung verzichtet, die täuschenden Personen jedoch vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Im Schadenfall verweigerte die beklagte Versicherung die Deckung, nachdem der Kläger eingeräumt hatte, nur formell auf dem Papier Geschäftsführer gewesen zu sein. Der faktische Geschäftsführer, ein Polizeibeamter, hatte die offizielle Geschäftsführertätigkeit aus dienstrechtlichen Gründen nicht (weiter) übernehmen können; habe in concreto aber die Geschäfte (weiter) geleitet.

Das erstinstanzlich mit der Sache befasste Landgericht Münster wies die auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Deckungsschutz gerichtete Klage ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.

Entscheidung des OLG Hamm

Der Senat erließ den streitgegenständlichen Hinweisbeschluss und wies auf die offensichtlich fehlenden Erfolgsaussichten der Berufung hin, bestätigte mithin die erstinstanzliche Entscheidung. Der Kläger habe keinen Versicherungsschutz, weil er die Beklagte bei Abschluss der Versicherung arglistig getäuscht habe.

Eine arglistige Täuschung sei gegeben, da der Kläger seine Scheingeschäftsführereigenschaft verschwiegen habe und hierüber bei Vertragsschluss hätte aufklären müssen. Zwar habe der Beklagte im Versicherungsantrag nicht gefragt, ob der Kläger „nur“ Scheingeschäftsführer sei, dies habe er aber – ungefragt – offenbaren müssen. Eine sog. spontane Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers bestehe, wenn außergewöhnliche gefahrerhöhende Umstände das Aufklärungsinteresse des Versicherers berühren, ihre Mitteilungsbedürftigkeit sich hätte aufdrängen müssen und dem Versicherer deren Nichtabfrage nach Treu und Glauben nicht vorzuwerfen sei. Diese Aspekte seien unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen.

Auch wenn ein formeller Geschäftsführer seine Aufgaben grundsätzlich weitreichend an einen faktischen Geschäftsführer delegieren kann, bleibt er zur Überwachung verpflichtet und kann sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Trifft dies zu, handelt er nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes und erhöht daher das Risiko seiner eigenen Inanspruchnahme als Leitungsorgan maßgeblich. Bei hinreichender Risikoerhöhung kann nach Auffassung des Senats eine außergewöhnliche Fallgestaltung vorliegen, die den Versicherer zur Anfechtung berechtigt. Hier war dies zu bejahen. Der faktische Geschäftsführer sei beruflich als Polizeibeamter eingebunden gewesen und habe sich daher nur in seiner Freizeit um die Angelegenheiten der GmbH kümmern können, sodass erkennbar gewesen sei, dass sich infolgedessen niemand im erforderlichen Maße um die Geschäftsführung kümmerte.

Die Täuschung sei auch kausal gewesen, da die beklagte Versicherung den Vertrag bei Kenntnis der Scheingeschäftsführereigenschaft so nicht abgeschlossen hätte. Auch habe der Kläger arglistig gehandelt, indem er jedenfalls bedingt vorsätzlich den Vertragsschluss mit dem Versicherer herbeigeführt habe, obwohl ihm hätte klar sein müssen, dass der Versicherer den Antrag bei Offenlegung nicht oder nur unter anderen Bedingungen angenommen hätte. Wegen des Unvermögens des Klägers den faktischen Geschäftsführer zu kontrollieren, sei das zu versichernde Risiko nicht zu kalkulieren gewesen.

Konsequenzen der Entscheidung

Vor dem Abschluss eines Versicherungsvertrags prüft der Versicherer das Risiko typischerweise anhand eines standardisierten Fragebogens. Dabei obliegt es grundsätzlich ihm, durch gezielte Risikofragen die für seine Entscheidung maßgeblichen Informationen zu erheben. Bleiben bestimmte Themen unberührt, darf der Versicherungsnehmer in der Regel davon ausgehen, dass diese für die Risikoeinschätzung keine Relevanz haben. Mit der hiesigen Entscheidung macht das OLG Hamm jedoch – soweit ersichtlich erstmalig im Rahmen einer D&O-Versicherung – deutlich, dass die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers gegenüber dem D&O-Versicherer nicht mit der wahrheitsgemäßen Beantwortung solcher Fragen endet und bejaht eine sog. spontane Anzeigepflicht; auch wenn es zugleich hohe Anforderungen an diese stellt.

Für sog. „Strohmann“-Geschäftsführer bedeutet dies: Selbst wenn sie operativ überhaupt nicht in die Unternehmensführung eingebunden sind, haften sie unter Umständen persönlich mit ihrem Vermögen – und müssen zudem damit rechnen, dass die D&O-Versicherung im Schadensfall den Versicherungsschutz verweigert. Die Entscheidung zeigt eindrücklich, dass eine bloß formelle Geschäftsführerrolle aus Gefälligkeit ohne echte Führungsabsicht erhebliche rechtliche Konsequenzen haben kann.

Versicherungsnehmer sollten angesichts der Entscheidung sicherstellen, gefahrerhebliche Umstände offenzulegen – und zwar auch dann, wenn diese nicht ausdrücklich abgefragt werden. Dabei gilt: Je außergewöhnlicher der gefahrerhöhende Umstand und je offensichtlicher dessen Relevanz für den Versicherer, desto eher ist eine spontane Anzeigepflicht anzunehmen. Für Versicherer empfiehlt es sich angesichts der hohen Anforderungen gleichwohl, Fragebögen weiter zu präzisieren.

Es bleibt – nolens volens – abzuwarten, welche weiteren denkbaren Fälle der sog. spontanen Anzeigepflicht die Versicherungswirtschaft beschäftigen werden.

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