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Klingelingeling, klingelingeling – hier kommt der Eiermann! oder: Die (un)freie Benutzung minimalistisch gestalteter Werke

Das OLG Frankfurt a.M. hat mit Urteil vom 29.11.2022, Az. 11 U 139,21 entschieden, dass bei einem minimalistisch gestalteten Stahlrohrtischgestell mit diagonal angebrachten Kreuzstreben – auch bekannt als „Eiermann 1“ – keine urheberrechtswidrige Entstellung durch ein anderes Tischgestell vorliegt, bei dem die Streben auf einer Ebene in Senkrechtstellung angebracht sind.

Sachverhalt

In der hier vorgestellten Entscheidung machten die Kläger – als Kinder und Erben des berühmten Architekten und Designers Egon Eiermann – Auskunfts- und Schadenersatzansprüche wegen der Verletzung des Urheberrechts an einem von ihrem Vater 1953 entworfenen Stahlrohrtischgestells geltend. Bei diesem minimalistisch gehaltenen Tischgestell handelt es sich um einen als „Eiermann 1“ bekannt gewordenen Design-Klassiker, der am Gestell über eine mittig diagonal bzw. schräg verlaufende Kreuzverstrebung verfügt (bezeichnet als „Gestell 1953“). In Anknüpfung an das Gestell 1953 fertigte ein anderer Hersteller einen stilistisch ähnlich gestalteten Tisch – zur Verbesserung der Transportmöglichkeit allerdings mit senkrecht auf gleicher Ebene angeordneter Kreuzverstrebung – an (bezeichnet als „E2“). Mehr zu den beiden Tischgestellen und den Hintergründen können Sie hier erfahren.

Die Beklagte wurde nun wegen des serienmäßigen Vertriebs von E2 auf Auskunft und Schadensersatz in Anspruch genommen. Nachdem das LG Frankfurt a.M. die Klage als unbegründet abgewiesen hatte, verfolgten die Kläger ihre Ansprüche in der Berufungsinstanz nur noch unter dem Aspekt der rechtswidrigen Entstellung (§ 14 UrhG) des Gestells 1953.

Entscheidungsgründe

Das OLG hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen und damit das klageabweisende Urteil des Landgerichts bestätigt. Eine Entstellung des Gestells 1953 gemäß § 14 UrhG sei zu verneinen, da das Tischgestell E2 nicht in den geistig-ästhetischen Gesamteindrucks des Gestells 1953 ändernd eingreife. Vielmehr handle es sich bei E2 um eine das Urheberrecht nicht verletzende freie Benutzung des älteren Werks und damit um eine Neuschöpfung.

Als urheberrechtlich geschütztes Werk könne der 1953 geschaffene „Eiermann 1“ allein aufgrund der diagonal angebrachten Kreuzstreben eingestuft werden. Zwar werde der Gesamteindruck auch durch die auf das Wesentliche beschränkte, minimalistische Gestaltung geprägt – ein Stil als solcher sei jedoch nicht schutzfähig. Hinsichtlich der diagonalen Querverstrebung musste jedoch berücksichtigt werden, dass diese ausweislich einer in der Akte befindlichen Abbildung eines Gussgestells aus dem 19. Jahrhundert wohl schon zuvor bekannt gewesen sei. Ob das Gestell 1953 die nötige Schöpfungshöhe aufweist, als urheberrechtlich geschütztes Werk eingestuft zu werden, hat das Gericht letztlich nicht entschieden.

Denn – so das Gericht weiter – selbst wenn das Gestell 1953 urheberrechtlich geschützt gewesen sei, so handele es sich bei E2 dennoch um keine hiervon abhängige Bearbeitung gem. § 23 S. 1, 2 UrhG a.F., da es zu keiner Beeinträchtigung des Gestells 1953 komme. Laut BGH komme es für die Bejahung einer solch abhängigen Bearbeitung darauf an, welcher Abstand zu den entlehnten Zügen des benutzten Werks – sprich den objektiven Merkmalen, welche seine Eigentümlichkeit prägen – eingehalten wird sowie auf den dadurch vermittelten Gesamteindruck der Gestaltung an. Der Senat sah in Übereinstimmung mit dem Landgericht zwischen dem Gestell 1953 und E2 lediglich insoweit Gemeinsamkeiten, als es sich um die minimalistisch gestaltete Stahlrohrkonstruktion eines Tischgestell handle. Allerdings fehle dem Gestell E2 das den Gesamteindruck des Gestelles 1953 prägende eigenschöpferische Merkmal der diagonal verlaufenden Kreuzverstrebung. Das Fehlen dieses Merkmals führe dazu, dass mangels abhängiger Bearbeitung eine freie Benutzung und damit eine Neuschöpfung vorliege, welche das Urheberrecht an dem Gestell 1953 nicht verletze. Insofern sei bei der Gestaltung von E2 lediglich der minimalistische Stil des älteren Werks übernommen worden, der als solcher nicht schutzfähig sei.

Praxishinweis

Das Urteil des OLG Frankfurt a.M. dürfte in Fällen mit minimalistisch gestalteten Werken im Mittelpunkt die zu treffende Entscheidung über das Vorliegen einer Urheberrechtsverletzung um einiges erleichtert haben:

Dem Rechtsanwender werden klare Leitlinien an die Hand gegeben, um zu bestimmen, wann der angegriffene „Nachbau“ (noch) eine abhängige Bearbeitung und damit eine Urheberrechtsverletzung darstellt und wann die Linie zu einer neuen, unabhängigen Schöpfung durch hinreichenden Abstand zum älteren Werk überschritten ist. Im Wesentlichen gilt hierbei:

  • Der Stil des Ursprungswerks als solcher ist nicht schutzfähig. Es ist damit nicht entscheidend, dass sich dieser Stil in der angegriffenen Gestaltung wiederfindet.
  • Um eine Urheberrechtverletzung durch abhängige Bearbeitung begründen zu können, muss vielmehr konkret aufgezeigt werden, dass gerade diejenigen Merkmale des Ursprungswerks übernommen wurden, die für dessen Gesamteindruck prägend sind.

Diese Rechtsprechung dürfte nicht nur einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Rechteinhabern und den Herstellern der angegriffenen Gestaltungen liefern. Sie liegt auch auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung zu § 23 Abs. 1 UrhG und der Frage nach der Abgrenzung zwischen abhängiger Bearbeitung und dem Vorliegen einer Neuschöpfung. Hierfür hat etwa auch der BGH (Urteil vom 11.03.1993, Az. I ZR 264/91) schon bisher darauf abgestellt, ob das benutzte Werk in der übernehmenden Gestaltung noch wiedererkennbar ist oder ob die entlehnten Züge in der angegriffenen Gestaltung verblassen, womit der für eine Neuschöpfung sprechende hinreichende Abstand als gewahrt wurde. Um dies zu beurteilen, wurden im Wege einer Gesamtbetrachtung die entlehnten Züge des älteren Werks sowie die Abweichungen in der Neugestaltung zusammenfassend bewertet.

An dieser für das Vorliegen einer Urheberrechtsverletzung entscheidenden Grenzziehung zwischen unfreier und freier Benutzung orientiert sich auch die vorliegende Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. und konkretisiert diese dabei zugleich weiter für Fälle, in denen minimalistisch gestaltete Schöpfungen im Mittelpunkt stehen.

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