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Neu veröffentliche Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmittel tierischen Ursprungs und EuGH-Urteil zu Veggie-Steak-Verbot in Frankreich

Ein Mitgliedsstaat kann nicht verbieten, für Fleischprodukte übliche Bezeichnungen wie Wurst und Steak für pflanzenbasierte Lebensmittel zu verwenden, wenn es keine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung für diese Produkte gibt. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 04.10.2024 (C-438/23) entschieden. Nur wenige Tage später, am 09.10.2024, wurden die neugefassten Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs veröffentlicht.

Hierzu das Wichtigste in aller Kürze:

In der EU gibt es zwei Positionen: Die einen wollen traditionelle Begriffe wie Filet und Wurst für Lebensmittel, die pflanzliches Eiweiß enthalten, verboten wissen. Die anderen wollen diese Begrifflichkeiten zur Kennzeichnung ihrer veganen und vegetarischen Alternativprodukte nutzen, um aufzuzeigen, dass es für die tierischen Originale „echte“ Alternativen gibt. Frankreich verbot diese für Fleischwaren üblichen Bezeichnungen mit zwei Dekreten aus den Jahren 2022 und 2024. Das Verbot sollte auch dann gelten, wenn den Begriffen ein klarstellender Zusatz wie „pflanzlich“ oder „aus Soja“ beigefügt war. Der EuGH urteilte, dass eine solche Vorgehensweise gegen EU-Recht verstößt, wenn es für Fleischprodukte keine rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnungen gibt. Da Mitgliedsstaaten solche rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnungen aber erlassen dürfen, sind nationale Alleingänge weiterhin möglich.

Seit 2018 regeln die – durchaus umstrittenen – Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs, inwieweit Anlehnungen an Bezeichnungen von Lebensmitteln mit tierischen Zutaten erlaubt sind. Nun wurde die Neufassung der Leitsätze veröffentlicht.

Unverändert gilt, dass je ähnlicher das alternative (vegane oder vegetarische) Lebensmittel ist, sich die Bezeichnung umso enger an das Bezugslebensmittel anlehnen kann. Die Unterscheidung zwischen „hinreichender sensorischer Ähnlichkeit“ und „weitgehender sensorischer Ähnlichkeit“ wird beibehalten. Allerdings werden die Begriffe nun in den Leitsätzen erläutert. Neben der Ähnlichkeit in Verwendung und Zubereitung kommt es auch auf die sensorische Ähnlichkeit in Bezug auf Aussehen, Geruch, Geschmack, Mundgefühl, Textur und Konsistenz an. Ebenfalls beibehalten wurde die Unterteilung in „übliche“ und nicht „übliche“ Anlehnungen. Die Bezeichnung „veganes Steak“ ist nach den neu gefassten Leitsätzen theoretisch möglich. Die Hürden für Anlehnungen an Bezeichnungen für spezielle gewachsene Fleischteilstücke (zum Beispiel „-Filet“, „-Steak“, „-Kotelett“), Innereien von Tieren (zum Beispiel „-Niere“, „-Leber“), Koch- und Rohpökelwaren oder an Tierarten sollen nur bei einer weitgehenden sensorischen Ähnlichkeit zum Original, insbesondere in Aussehen, Textur und Mundgefühl, möglich sein.

Ob dies im Einklang mit dem EuGH-Urteil ist, kann durchaus hinterfragt werden. Der EuGH geht nämlich in o.g. Urteil ausdrücklich davon aus, dass wenn die Bezeichnung im Einklang mit der Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV) – insbesondere mit der Regelung zur Austauschzutat – angegeben wird, die Verbraucher hinreichend geschützt sind. Allerdings kann diese gesetzliche Vermutung im Fall einer nachgewiesenen Irreführung widerlegt werden. Maßstab ist das Irreführungsverbot in Artikel 7 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011. Ob für die Verbraucher verständlich ist, warum die Angabe „veganes Schnitzel“ üblich und die Angabe „vegetarisches Steak“ unüblich ist, darf auch nach der Neufassung der Leitsätze weiterhin bezweifelt werden. Die Bezeichnungen für vegane und vegetarische Lebensmittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmittel tierischen Ursprungs werden daher wohl auch nach der Neufassung der Leitsätze die Gerichte beschäftigen.

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