

Wirksame Schiedsvereinbarung trotz Ausschluss der deutschen AGB-Kontrolle
Die deutsche AGB-Kontrolle wird im b2b-Bereich häufig als „Standortnachteil“ kritisiert. Entsprechend hoch ist das Bedürfnis für Unternehmen, ihrem Geltungsbereich zu entfliehen. Im grenzüberschreitenden Bereich gelingt das durch Wahl einer anderen Rechtsordnung als anwendbares Recht. Umstritten ist hingegen die Frage, ob deutsches Recht auch selektiv vereinbart werden kann, d.h. ohne die strenge deutsche AGB-Kontrolle. Diese Frage hatte der Bundesgerichtshof zu beantworten – und brachte (etwas) Licht ins Dunkel.
Sachverhalt
Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragstellerin schloss mit der Antragsgegnerin einen Vertrag über die Erbringung verschiedener Werkleistungen. In dem Vertrag waren u.a. Regelungen über eine Vertragsstrafe bei Lieferverzug, die Durchführung eines Schiedsverfahrens bei Streitigkeiten, die Wahl deutschen Rechts als anwendbares Recht sowie ein Ausschluss der deutschen AGB-Kontrolle enthalten.
Die Antragstellerin erhob nach Ausbleiben des Werklohns Schiedsklage auf Zahlung. Hiergegen machte die Antragsgegnerin mit der (Schied-)Widerklage eigene Ansprüche u.a. eine von der Antragstellerin zu leistende Vertragsstrafe geltend. Den Anspruch auf Vertragsstrafe hielt die Antragstellerin für unberechtigt, da die Vertragsstrafe gegen deutsches AGB-Recht verstoße. Da das Schiedsgericht allerdings eine solche AGB-Kontrolle nach dem Vertrag nicht vornehmen müsse, drohe ihr eine rechtswidrige Inanspruchnahme, die die Schiedsklausel wegen Verstoßes gegen deutsches Recht unwirksam mache.
Aus diesem Grund erhob die Antragstellerin einen Antrag beim KG Berlin auf Feststellung, dass das Schiedsverfahren unzulässig sei. Gegen den Zurückweisungsbeschluss des KG erhob die Antragstellerin Rechtsbeschwerde zum BGH.
Die Entscheidung des BGH, Beschluss vom 09.01.2025 – I ZB 48/24:
Der BGH wies die Rechtsbeschwerde unter Verweis auf folgende rechtliche Ausführungen zurück:
Zunächst sei vorliegend das Zustandekommen der Schiedsvereinbarung, die Grundlage für die Einleitung eines Schiedsverfahrens sei und die Zuständigkeit des gewählten Schiedsgerichts begründe, nach deutschem Recht zu bemessen. Nach deutschem Recht sei die Schiedsklausel wirksam vereinbart worden.
Die Klausel, mit der die Anwendung des deutschen AGB-Rechts ausgeschlossen sei, ändere nichts an diesem Ergebnis. Selbst wenn diese Klausel nach deutschem AGB-Recht unwirksam wäre, da sie eine AGB-Kontrolle unzulässigerweise verhindere, habe dies keinen Einfluss auf die separat getroffene Schiedsabrede und damit die Einleitung eines Schiedsverfahrens. Der Ausschluss des deutschen AGB-Rechts sei vielmehr eine Frage der – in Deutschland zwingenden – späteren Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs. Hier müsse das jeweilige staatliche Gericht dann prüfen, ob der Ausschluss des deutschen AGB-Rechts im Einzelfall zu einem Verstoß gegen den ordre public führt – also grundlegende Prinzipien des deutschen Rechts verletzt. Der Ausschluss des AGB-Rechts per se sei jedoch kein solcher Verstoß, da es nur darauf ankäme, ob das Ergebnis des Schiedsspruchs untragbar sei.
Praxishinweis
Immer wieder stößt sich die Praxis an der schnellen Annahme und strengen inhaltlichen Prüfung von AGB im deutschen Recht. Vielfach wird der von der Rechtsprechung angewandte Maßstab bei der Kontrolle von vorformulierten Klauseln – auch im unternehmerischen Bereich – als nicht praxisgerecht empfunden. Die Lösung ist dann in vielen Fällen die „Flucht“ in insofern liberalere Rechtsordnungen, beispielsweise das Schweizer Recht. Dass man sich dabei einer häufig unbekannten Rechtsordnung unterwirft, wurde bisher als notwendiges Übel hingenommen.
Um sich nicht den eigenen Heimvorteil bei internationalen Wirtschaftsverträgen zu nehmen, gibt es seit längerem Überlegungen, per Schiedsvereinbarung die Wahl deutschen Rechts unter gleichzeitigem Ausschluss der AGB-Kontrolle zu vereinbaren. Schiedsverfahren bieten aufgrund ihrer Vertraulichkeit, Flexibilität und Schnelligkeit (es gibt keinen Instanzenzug) eine gute Alternative zu staatlichen Verfahren – insbesondere bei hohen Streitwerten, bei denen sich die höheren Kosten relativieren. Darüber hinaus ist auch die Vollstreckung von Schiedssprüchen international oftmals einfacher, da mittlerweile 172 Staaten das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche unterzeichnet und sich somit zur Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen im eigenen Staat verpflichtet haben. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Parteien grundsätzlich die „anzuwendenden Rechtsvorschriften“ selbst bestimmen können. Wie weit dieses Bestimmungsrecht geht, ist unter Juristen allerdings heftig umstritten. Der Beschluss des BGH lässt insofern interessante Tendenzen erkennen:
Zum einen bestätigt der BGH, dass eine Schiedsklausel eine separat zu betrachtende Vereinbarung ist, deren Wirksamkeit nicht von weiteren, separaten Vertragsbestandteilen abhängt (vgl. zu den Anforderungen an eine Schiedsabrede bereits hier). Das ist zu begrüßen, überrascht aber nicht sonderlich.
Zum anderen lässt sich aber eine vorsichtige Tendenz zugunsten der Zulässigkeit selektiver Rechtswahlklauseln erkennen: So führt der BGH in seiner Begründung aus, dass das nach Abschluss eines Schiedsverfahrens über die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs entscheidende (staatliche) Gericht lediglich eine Ergebniskontrolle vorzunehmen habe. Hierbei sei entscheidend, ob das Urteil im Einzelfall „sich nicht mehr als Ausdruck vertraglicher Selbstbestimmung begreifen lässt, oder eine vertragliche Regelung zu schlechthin nicht mehr tragbaren Vertragsfolgen führt.“ Zum hierbei anzulegenden Maßstab äußert sich der BGH bedauerlicherweise nicht. Es wäre jedoch widersinnig, einzelne Klauseln eines Vertrags am Maßstab der deutschen AGB-Kontrolle zu messen, wenn die Parteien doch gerade zum Ausdruck gebracht haben, dessen Wertungen nicht gelten lassen zu wollen. Vielmehr liegt es nahe, die Grenze des Zulässigen in solchen Fällen höher anzusetzen. Rechtlich handhabbar wäre folgender Ansatz: So sieht das deutsche Recht auch für Individualvereinbarungen Grenzen vor – z.B. bei sittenwidrigen Verträgen oder Klauseln, die gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen.
Was bleibt also? Wer vertraglich Schiedsklauseln vereinbart und hierbei selektiv deutsches Recht ohne AGB-Kontrolle vereinbart, muss weiterhin damit rechnen, dass die Klausel im Einzelfall unzulässig ist. Dann besteht das Risiko, dass bei einem grenzüberschreitenden Vertrag ungewollt das Recht eines ausländischen Staates zur Anwendung kommt. Dieses Risiko bestünde bei reinen Inlandssachverhalten nicht. Ob die Erwägungen des BGH sich jedoch auf Inlandssachverhalte übertragbar lassen, ist unklar. Es bleibt daher dabei, dass bei der Vertragsgestaltung darauf geachtet werden sollte, welche Vereinbarungen im Einzelfall getroffen werden – jedenfalls wenn die Risikobereitschaft weniger stark ausgeprägt ist.
23. April 2025