

Rücktritt von einem CISG-Kaufvertrag
Sofern die Parteien das UN-Kaufrechts („CISG“) nicht vertraglich abbedingen, ist dieses automatisch auf viele grenzüberschreitende Kaufverträge anwendbar. Bei einem solchen Kaufvertrag können die Parteien bei einer Nichtlieferung nur dann ohne Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten, wenn eine Vertragspartei eine vertragswesentliche Leistung verletzt hat. Die Einhaltung von Lieferzeiten zählt nicht per se zu den vertragswesentlichen Pflichten. Dies entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln.
Kurzwiedergabe des Sachverhalts
Dem Urteil des OLG Köln lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte wollte während der Corona Pandemie eine große Menge an FFP2-Schutzmasken beziehen. Hierzu veröffentlichte sie eine Auftragsbekanntmachung, in unter anderem folgender Verweis enthalten war:
„Für alle Angebote gelten die gleichen Bedingungen. Individuelle Vertragsverhandlungen werden nicht durchgeführt.“
In Ziff. 3.2 S. 3, 4 der separaten Vertragsbedingungen waren zudem folgende Regelungen enthalten:
„Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten gemäß S. 1. Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).“
In der abschließenden Ziff. 7.3 wurde das anzuwendende Recht geregelt:
„Dieser Vertrag unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland unter Ausschluss der Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts.“
In der Folge kam es zu einem Vertragsschluss zwischen der Beklagten und der Klägerin, einem in Tschechien ansässigen Unternehmen. Aufgrund diverser – u.a. zollrechtlicher – Probleme konnte die Mehrzahl der FFP2-Masken nicht gemäß des in den Vertragsbedingungen enthaltenen Termins geliefert werden. Aus diesem Grund trat die Beklagte ohne Setzen einer Frist zur Leistungserbringung vom Vertrag zurück.
Die auf Zahlung gegen Lieferung der ausstehenden Masken gerichtete Klage der Klägerin wurde vom erstinstanzlichen Gericht abgewiesen, da die Beklagte wirksam von den Kaufverträgen zurückgetreten sei. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Berufung zum OLG Köln.
Die Entscheidung des OLG Köln Urteil vom 06.02.2025 – 8 U 38/23
Die Berufung war erfolgreich. Das OLG Köln änderte das erstinstanzliche Urteil unter Verweis auf folgende rechtliche Ausführungen ab:
Auf den vorliegenden Vertrag sei vorrangig das CISG anwendbar, da es sich um einen Kaufvertrag handele, dessen Parteien in verschiedenen Staaten niedergelassen seien, die jeweils das CISG ratifiziert und damit zum Teil ihrer nationalen Rechtsordnung gemacht hätten. Das CISG käme infolgedessen immer vorrangig zur Anwendung, sofern dieses nicht explizit ausgeschlossen sei. Weder die von der Beklagten verwendete Klausel zum anwendbaren Recht, noch die Tatsache, dass sich die Parteien der Anwendbarkeit des CISG nicht bewusst gewesen seien, genüge den Anforderungen an einen Ausschluss.
Eine Vertragsaufhebung (im deutschen Recht: Rücktritt) sei bei einer Nichtlieferung nach dem CISG nur dann möglich, wenn eine Partei entweder eine Frist zur Leistung gesetzt habe und diese erfolgslos verstrichen oder eine vertragswesentliche Pflicht von der anderen Partei verletzt worden sei. Da eine Frist von der Beklagten nicht gesetzt wurde, ginge es lediglich darum, ob die fristgemäße Lieferung „vertragswesentlich“ gewesen sei:
Dies lehnte das OLG Köln ab, da Lieferzeiten grundsätzlich nicht vertragswesentlich seien. Lediglich bei so genannten Fixgeschäften sei eine Vertragswesentlichkeit denkbar. Ein solches läge vorliegend allerdings nicht vor. Zwar habe die Beklagte in ihren Vertragsbedingungen geregelt, dass die Lieferzeiten als sog. absolutes Fixgeschäft gelten sollten – d.h. bei deren Überschreitung sollte automatisch die Leistungspflicht entfallen –, jedoch sei diese Regelung nach dem zusätzlich zum CISG anzuwendenden deutschen AGB-Recht unwirksam. Maßstab für die AGB-Kontrolle sei insofern die Interessenslage nach dem CISG. Da das CISG nur sehr restriktiv die Vertragsaufhebung ermögliche, seien absolute Fixgeschäfte nur als absoluter Ausnahmefall anzuerkennen. Da der in Ziff. 3.2 S. 3 der Vertragsbedingungen enthaltene Termin allerdings nicht mit dem Ende der Pandemie zusammenfiel, sei auch nach diesem Termin ein Interesse an dem Erhalt der Masken gegeben gewesen, sodass ein solches absolutes Fixgeschäft nicht in Betracht käme. Die Klausel hätte mithin den Verkäufer unangemessen benachteiligt und sei deshalb unwirksam, sodass die Klägerin Zahlung gegen Lieferung der Masken verlangen könne.
Praxishinweis
„Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf findet keine Anwendung“ oder „… unter Ausschluss des CISG“ – diese Zusätze sind aus zahlreichen Verträgen und AGB-Werken wohlbekannt. Der CISG-Ausschluss ist weiterhin ein üblicher juristischer Reflex. Dabei gibt es sowohl aus Verkäufer- als auch aus Käufersicht Argumente, die für eine CISG Einbeziehung sprechen können:
1. Käufer-Vorteile
Das CISG genießt klassischerweise den Ruf tendenziell Käufer-freundlich ausgestaltet zu sein. Hierfür spricht insbesondere:
- Im Falle von Mängeln besteht ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch. Der Verkäufer haftet also garantieähnlich. Nach deutschem Recht ist stets Vorsatz oder Fahrlässigkeit erforderlich.
- Es gelten weniger strenge Wareneingangskontrollpflichten des B2B Käufers: Während nach nationalem Recht eine Rüge unverzüglich erfolgen muss, gewährt das CISG dem Käufer hierzu eine „angemessene Frist“, die regelmäßig bis zu einen Monat betragen kann.
2. Verkäufer-Vorteile:
Das CISG kann allerdings auch für den Verkäufer interessant sein:
- Im Falle einer mangelhaften Lieferung kann der Käufer sich nur dann vom Vertrag lösen, wenn im Mangel die Verletzung einer vertragswesentlichen Pflicht zu sehen ist. Sofern die Pflichtverletzung unterhalb dieser Schwelle liegt, muss er am Vertrag festhalten und ist auf andere Rechtsbehelfe verwiesen (Schadensersatz oder Minderung). Das deutsche BGB lässt den Rücktritt hingegen bereits nach erfolgloser Fristsetzung zur Nacherfüllung zu.
- Der Verkäufer haftet zudem im Rahmen des Schadensersatzes nur auf die bei Vertragsschluss vorhersehbaren Schäden. Dies ist insofern vorteilhafter gegenüber dem deutschen Recht, dass grundsätzlich eine grundsätzlich unbegrenzte Haftung vorsieht.
Ob die Vereinbarung des CISG daher im konkreten Einzelfall oder ggf. bei einer turnusmäßigen Überarbeitung von AGB sinnvoll ist, sollte demnach sorgfältig abgewogen werden. Dies gilt umso mehr, wenn sich Verhandlungen mit ausländischen Vertragspartnern zum anwendbaren Recht schwierig gestalten – hier kann das CISG als in vielen Ländern gültige Rechtsordnung ein akzeptabler Kompromiss sein. Da das CISG jedoch unvollkommen ist uns manche rechtlichen Aspekte nicht regelt (z.B. die Frage der Verjährung von Ansprüchen), bedarf es immer einer subsidiär anwendbaren Rechtsordnung – am besten der „eigenen“.
5. Juni 2025