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Wann handelt es sich um einen „Handelsvertretervertrag“ (und warum ist das relevant)?

Ob ein Handelsvertretervertrag vorliegt, bestimmt sich nach dem tatsächlichen Vertragsinhalt. Dabei kommt es nicht auf die Bezeichnung des Vertrages an. Stattdessen ist das Gesamtbild der Verhältnisse entscheidend. Das ergibt sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt a.M. vom 08. Juli 2025 (Az. 14 U 193/23).

Sachverhalt

Dem Urteil des OLG Frankfurt a.M. liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte ist Herstellerin verschiedener Corona-Schnelltests. Sie beauftragte die Klägerin mit dem Vertrieb der Tests. Den zugrunde liegenden Vertrag überschrieben die Parteien mit der Bezeichnung „Kooperationsvertrag“. Im Anschluss an die wechselseitig erklärten Kündigungen des Vertrages machte die Klägerin Provisions-, Ausgleichsansprüche sowie Auskunftsansprüche aus dem Handelsvertreterrecht geltend. Dies begründete die Klägerin u.a. mit ihrer Einschätzung, dass der abgeschlossene Vertrag einen Handelsvertretervertrag darstelle. Die Beklagte bestritt dies.

Das Landgericht Marburg wies die Klage ab. Zwischen den Parteien sei kein Handelsvertretervertrag geschlossen worden. Daher bestünde auch der geltend gemachte Ausgleichsanspruch nicht. Ein Handelsvertretervertrag liege nicht vor, da lediglich die Vermittlung bestimmter Produkte und nicht der umfassenden Produktpalette der Beklagten vereinbart gewesen sei. Auch sei die Vereinbarung nur für einen Zeitraum von drei Jahren und nicht für die dauerhafte Vermittlung der Produkte abgeschlossen worden. Eine Pflicht der Klägerin zum Tätigwerden sei zudem genauso wenig vereinbart worden wie ein Weisungsrecht der Beklagten. Außerdem hätten die Parteien Regelungen aus dem Handelsvertreterrecht ausdrücklich in den Vertrag aufgenommen, was nicht notwendig gewesen wäre, wenn diese einen Handelsvertretervertrag hätten schließen wollen. Zudem hätten sie den Vertrag nicht als Handelsvertretervertrag, sondern als Kooperationsvertrag bezeichnet. Der Vertrag sei deshalb nicht als Handelsvertretervertrag zu qualifizieren. Aus diesem Grund bestünden keine Ansprüche aus dem Handelsvertreterrecht.

Entscheidungsgründe

Die Klägerin legte gegen die Entscheidung des Landgerichts Marburg beim OLG Frankfurt Berufung ein. Diese war erfolgreich. Das OLG stellte klar, dass der Vertrag als Handelsvertretervertrag zu qualifizieren sei. Entscheidend hierfür sei der tatsächliche Vertragsinhalt. Dabei sei auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen und sowohl die vertragliche Gestaltung als auch deren tatsächliche Handhabung zu berücksichtigen. Dieses Gesamtbild müsse ergeben, dass ein selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut sei, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Für das Vorliegen einer ständigen Betrauung müsse nicht zwingend ein unbefristetes Vertragsverhältnis vorliegen. Notwendig sei vielmehr, dass der Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Unternehmers eingebunden sei. Die Bezeichnung des Vertrages und der Parteien im Vertrag und deren Einordnung des Vertrages sei nicht allein maßgeblich.

Nach dem Vertrag der Parteien sollte die Klägerin dauerhaft die Vermittlung bzw. den Vertrieb der Produkte über ihr Vertriebs- und Kontaktnetzwerk übernehmen. Konkret sei es darum gegangen, dass die Klägerin immer wieder neu hergestellte Produkte für die Beklagte veräußere. Dadurch werde deutlich, dass die Klägerin in die Absatzorganisation der Beklagten eingegliedert worden sei. Diese Einbindung und die vertraglich verwendeten Begrifflichkeiten des Handelsvertreterrechts seien entscheidend für das Vorliegen eines Handelsvertretervertrages.

Praxishinweise

Das Urteil des OLG Frankfurt zeigt erneut, dass beim Abschluss von Vertriebsverträgen besondere Vorsicht geboten ist. Dabei ist die Qualifizierung eines Vertrages als Handelsvertretervertrag speziell mit Blick auf den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters entscheidend. Diesen kann der Handelsvertreter verlangen, wenn er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat und der Unternehmer hieraus auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat, beispielsweise, wenn diese Kunden vom Unternehmen weiter beliefert werden. Der Handelsvertreter kann dann mit dem Ende des Vertrages einen angemessenen Ausgleich verlangen, der – ganz grob - nach (deutschem) Handelsvertreterrecht bis zu einer Jahresprovision, gemessen am Durchschnitt der letzten fünf Jahre, beträgt.

Die Besonderheit des Anspruchs liegt darin, dass dieser zwischen den Parteien vor und während der Vertragslaufzeit nicht abweichend geregelt werden kann. Die Qualifizierung des Vertrages als Handelsvertretervertrag hat daher aus Sicht des Unternehmers stets das Risiko eines Ausgleichsanspruchs zur Folge. Allerdings ist dieses Risiko nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass es sich nicht um einen „klassischen“ Handelsvertretervertrag handelt. Die Rechtsprechung spricht unter bestimmten Voraussetzungen beispielsweise auch Vertragshändlern, Resellern oder Distributoren einen entsprechenden Ausgleichsanspruch zu. Auch hier ist wieder entscheidend, welche Regelungen der Vertragsinhalt tatsächlich trifft. Ebenso kann, bei internationalen Konstellationen, die Rechtswahl oder der Vertriebsort eine entscheidende Rolle spielen. 

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