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Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europea – SE) – aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts

Wird eine Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europea – SE) errichtet, ist im Hinblick auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in dieser Gesellschaft gemäß den Vorschriften des SE-Beteiligungsgesetzes (SEBG) grundsätzlich ein sog. Beteiligungsverfahren durchzuführen. Am Ende dieses Verfahrens kann der Abschluss einer sog. Beteiligungsvereinbarung stehen, z.B. mit der Einrichtung eines SE-Betriebsrats oder der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsorgan der SE. Mangels Einigung kann je nach Konstellation aber auch eine schon vorher auf Unternehmensebene bestehende Mitbestimmung auf die neue SE „durchschlagen“.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung der deutschen Gerichte in den Fällen, in denen eine arbeitnehmerlose „Vorrats-SE“ gegründet wurde. War das Beteiligungsverfahren im Gründungsstadium unterblieben, war es allerdings nach weit verbreiteter Auffassung nachzuholen, wenn die Vorrats-SE – etwa durch Übernahme der Holding-Funktion in einem Konzern – aktiv wurde.

Dieser Rechtsauffassung ist der EuGH in seinem Urteil vom 16.05.2024 – C-706/22 in einem vom deutschem Bundesarbeitsgericht (BAG) initiierten Vorabentscheidungsverfahren nun entgegen getreten.

Sachverhalt (gekürzt)

Eine SE wurde im Jahre 2013 mit Sitz in London gegründet und in das zuständige Register für England und Wales eingetragen. Da die Gründungsgesellschaften keine Arbeitnehmer hatten, wurde ein Beteiligungsverfahren nicht durchgeführt. Später wurde die SE alleinige Gesellschafterin einer deutschen drittelmitbestimmten GmbH, die anschließend in eine KG formgewechselt wurde. Hierdurch entfiel die unternehmerische Mitbestimmung bei der KG. Die KG beschäftigte rund 800 Arbeitnehmer, ihre zahlreichen Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten der EU insgesamt ca. 2000 weitere Arbeitnehmer. Aufgrund des Brexits verlegte die SE ihren Sitz nach Hamburg. Der Konzernbetriebsrat wollte in einem von ihm eingeleiteten Verfahren durchsetzen, dass das – bei Gründung der SE unterbliebene – Beteiligungsverfahren nachgeholt wird.

Nachdem die Vorinstanzen Arbeitsgericht Hamburg und Landesarbeitsgericht Hamburg den entsprechenden Antrag des Konzernbetriebsrats abgewiesen hatten, hat das angerufene BAG das Verfahren ausgesetzt. Es hat die Frage, ob ein Beteiligungsverfahren nachzuholen ist, wenn eine ohne Beteiligungsverfahren gegründete SE herrschendes Unternehmen von Arbeitnehmer beschäftigenden Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt.

Das Urteil des EuGH vom 16. Mai 2024 – Az.: C-706/22

Der EuGH hat eine generelle Pflicht zur Nachholung des Beteiligungsverfahrens abgelehnt. Die bestehenden gesetzlichen Vorschriften sähen die Durchführung eines Beteiligungsverfahrens nur im Gründungsstadium der SE vor. Eine Nachholung des Beteiligungsverfahrens sei nicht generell geregelt, und das sei auch kein gesetzgeberisches Versehen, das durch eine analoge Anwendung gesetzlicher Vorschriften zu beheben sei.

Allerdings räumt der EuGH ein, dass eine Nachholung des Beteiligungsverfahrens in Missbrauchsfällen geboten sein könnte.

Das BAG ist dem gefolgt und hat die Rechtsbeschwerde des Konzernbetriebsrats durch Entscheidung vom 26.11.2024 zurückgewiesen (Az.: 1 ABR 37/20) und somit entschieden, dass eine Pflicht zur Nachholung des Beteiligungsverfahrens im konkreten Fall nicht gegeben war. Bislang ist lediglich der Urteilstenor veröffentlicht, die Entscheidungsgründe stehen noch aus.

Praxishinweis

Die Rechtsprechung des EuGH dürfte auf nationaler Ebene dazu führen, dass die bislang weitläufig vertretene Auffassung, die zur Vermeidung einer Umgehung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer bei der Gründung einer arbeitnehmerlosen SE die spätere Nachholung des Beteiligungsverfahrens verlangt und dies mit einer analogen Anwendung der gesetzlichen Vorschriften begründet, so nicht aufrecht zu erhalten sein wird.

Von maßgeblicher Bedeutung könnte künftig vielmehr die Frage werden, welche Anforderungen an eine „rechtsmissbräuchliche Gestaltung“ gemacht werden und ob das Missbrauchsverbot zur Nachholung des Beteiligungsverfahrens verpflichtet. Hier ist die nationale Rechtsprechung gefragt.

Für die Praxis dürfte durch die Rechtsprechung des EuGH die SE als Mittel zur Begrenzung der unternehmerischen Mitbestimmung noch interessanter werden.

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