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Haftung des faktischen Geschäftsführers

Der sogenannte faktische Geschäftsführer haftet für Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft geleistet werden. Ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt hat und infolgedessen wie ein gesetzlich bestelltes Organ haftet, hängt vom Gesamteindruck seines Auftretens ab. Erforderlich ist auch ein eigenes, nach außen hervortretendes Verhalten, das typischerweise der Geschäftsführung zuzurechnen ist. Dies ergibt sich aus einem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig.

Sachverhalt

Dem Urteil des OLG Schleswig liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der S-GmbH (im Folgenden: „Schuldnerin“). Der Beklagte wurde in den Jahren 2016 und 2017 für die Schuldnerin auf Basis eines Beratervertrags als externer CRO (Chief Revenue Officer) tätig. Während dieses Zeitraums, in dem die Schuldnerin bereits zahlungsunfähig war, erfolgten Zahlungen an Dritte sowie Einzahlungen auf ein im Soll geführtes Konto. Der Beklagte verfügte weder über eine Kontovollmacht noch eine Zeichnungsberechtigung für die Konten der Schuldnerin.

Der Kläger verlangt nunmehr die Summe der Aus- und Einzahlungen von dem Beklagten ersetzt, da dieser faktischer Geschäftsführer gewesen sei und daher nach § 64 GmbHG a. F. (jetzt: § 15b Abs. 4 InsO) hafte. Das Landgericht wies die Klage ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.

Die Entscheidung des OLG Schleswig, Urteil vom 27.11.2024 – 9 U 22/24

Das OLG Schleswig wies die Berufung zurück. Ein Erstattungsanspruch nach § 64 GmbHG a. F. erstrecke sich zwar auch auf den faktischen Geschäftsführer, der Beklagte sei jedoch kein faktischer Geschäftsführer gewesen.

Entscheidend für die Frage, ob jemand faktisch wie ein Organ gehandelt hat, ist das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens. Erforderlich ist, dass er die Geschicke der Gesellschaft im Außenverhältnis maßgeblich in die Hand genommen hat und tatsächlich wie ein geschäftsführendes Organ tätig geworden ist. Faktischer Geschäftsführer ist demnach nur, wer die Geschäftsführung mit Einverständnis der Gesellschafter ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen, tatsächlich ausgeübt und gegenüber dem satzungsmäßigen Geschäftsführer eine überragende Stellung eingenommen oder zumindest das deutliche Übergewicht gehabt hat.

Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Das OLG räumt ein, dass gewichtige Indizien vorlagen, die für eine Einordnung als faktischer Geschäftsführer sprechen. Insbesondere sei der Beklagte aufgrund umfassender Vollmacht zur Vertretung der Schuldnerin und zur Verfügung über ihre Konten befugt gewesen, habe wichtige Verträge geschlossen und seine Funktion als „Chief“ nach außen hin kundgetan. Er habe jedoch nicht anstelle des formellen Geschäftsführers für die Schuldnerin mit Wirkung im Außenverhältnis federführend Entscheidungen im operativen Geschäft getroffen oder im Übrigen mit dem Einverständnis der Gesellschafter ohne Absprache mit dem formellen Geschäftsführer eigenständig Entscheidungen getroffen.

Praxishinweis

Die Rechtsfigur des faktischen Geschäftsführers kommt im GmbH-Recht aus haftungsrechtlicher Sicht erhebliche Bedeutung zu: Der faktische Geschäftsführer unterliegt – wie ein formell bestellter Geschäftsführer – den Organpflichten nach §§ 43 ff. GmbHG sowie den insolvenzrechtlichen Pflichten, insbesondere nach § 15b InsO. Er kann demnach persönlich für Pflichtverletzungen, etwa bei unterlassener Insolvenzantragstellung, haftbar gemacht werden. Dies dient auch dem Gläubigerschutz, indem eine Verantwortungsdurchgriffshaftung gegenüber solchen Personen ermöglicht wird, die sich der formellen Bestellung entziehen, gleichwohl aber die tatsächliche Leitungsmacht ausüben. Der BGH hat jüngst erneut entschieden, dass die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze auch bei der strafrechtlichen Bewertung zu berücksichtigen sind (BGH, Urt. v. 27.02.2025 – 5 StR 287/24 = „Faktische Geschäftsführung bei Firmenbestattungen“).

Aufgrund der weitreichenden haftungsrechtlichen Konsequenzen stellt die Rechtsprechung – zu Recht – hohe Anforderungen an die Feststellung einer faktischen Geschäftsführung. Maßgeblich für die Bewertung sind die Befugnisse im Innenverhältnis sowie das Auftreten im Außenverhältnis. Im Außenverhältnis ist erforderlich, dass die betreffende Person faktisch die Leitung des Unternehmens übernommen und die rechtsgeschäftlichen Handlungen des Unternehmens maßgeblich bestimmt hat. Problematisch ist die Einordnung als faktischer Geschäftsführer insbesondere dann, wenn eine Person nicht in allen Bereichen eindeutig die typischen Leitungsaufgaben eines Geschäftsführers übernimmt. Zudem genügt eine bloße interne Einflussnahme auf die satzungsmäßig bestellten Geschäftsführer nicht.

Wer nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, sollte zur Vermeidung einer Zurechnung organschaftlicher Pflichten darauf achten, weder im Innen- noch im Außenverhältnis unternehmensleitend aufzutreten oder diesen Eindruck zu erwecken. Wesentliche Entscheidungen sollten weiterhin den hierfür zuständigen Organen der Gesellschaft vorbehalten sein. Diese klare Kompetenzverteilung sollte sich nicht nur in den internen Abläufen widerspiegeln, sondern auch nach außen hin deutlich erkennbar sein – etwa durch eine entsprechende Gestaltung des Webauftritts, des Briefkopfs oder der E-Mail-Signatur.

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