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Das Ende der Kundenanlage(?)

Mit Urteil vom 28.11.2024 – C-293/23 – hat der Europäische Gerichtshof voraussichtlich einer beliebten energiewirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeit wie auch einem seit langer Zeit schwelenden Meinungsstreit zwischen den Obergerichten der Länder ein – durchaus überraschendes – Ende bereitet. Die Konstruktion der Kundenanlage als privilegiertes Netz für kleinere, dezentrale Erzeugungsanlagen ist nicht vereinbar mit der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie.

Ausgangsfrage

Zur Förderung der Energiewende sah der deutsche Gesetzgeber seit dem Jahr 2011 eine Privilegierung kleinerer Netze vor, in die Strom aus dezentralen Erzeugungsanlagen (wie insbesondere Blockheizkraftwerken) eingespeist und wieder bezogen wird. Diese Netze unterliegen nur eingeschränkt den Regelungen nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Für diese Netze bestehen keine Genehmigungs- und Meldepflichten. Es dürfen insbesondere auch keine Netzentgelte erhoben werden, was zu einem günstigeren Bezug von Strom und Wärme durch die Endkunden geführt hat.

Kundenanlagen sind gesetzlich definiert nach § 3 Nr. 24a EnWG als Energieanlagen zur Abgabe von Energie, die

  • sich auf einem räumlich zusammengehörenden Gebiet befinden,
  • mit einem Energieversorgungsnetz oder mit einer Erzeugungsanlage verbunden sind,
  • für die Sicherstellung eines wirksamen und verfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas unbedeutend sind und
  • jedermann zum Zwecke der Belieferung der angeschlossenen Letztverbraucher im Wege der Durchleitung unabhängig von der Wahl des Energielieferanten diskriminierungsfrei und unentgeltlich zur Verfügung stehen.

Über die verschiedenen Voraussetzungen in räumlicher und rechtlicher Sicht wurde über die Jahre in der juristischen Literatur wie auch zwischen den Obergerichten gestritten. In einem Verfahren aus dem Jahr 2019 hatte nun der Bundesgerichtshof im Jahr 2023 die Gelegenheit erhalten, den Europäischen Gerichtshof zu fragen, ob diese gesetzliche Regelung mit der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie der Europäischen Union vereinbar ist.

Anlass war ein Vorhaben einer Zwickauer Wohnungsbaugenossenschaft, die vier Wohnblöcke mit 96 Wohneinheiten auf einer Fläche von 9000 m² und sechs Wohnblöcke mit 160 Wohneinheiten auf einer Fläche von 25500 m² über zwei Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen mit günstiger Energie und Wärme versorgen wollte. Der örtliche Netzbetreiber verweigerte den Anschluss als privilegierte Kundenanlage unter Verweis auf die Größe und Struktur.

Entscheidung des EuGH

Der Europäische Gerichtshof befand nun, dass die deutschen Bestimmungen des EnWG nicht mit der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (Richtlinie 2019/944 vom 05.06.2019 wie auch deren Vorgängerrichtlinie) vereinbar seien.

Die sog. Verteilernetze dürfen nach der Richtlinie nur hinsichtlich der Spannungsebene und der Kategorie von Kunden, an die die Elektrizität weitergeleitet wird, unterschieden werden. Zusätzlichen Kriterien hätte Deutschland nicht heranziehen oder selbst schaffen dürfen. Ausnahmen von der Pflicht zur Gleichbehandlung aller Netze könnte nur die Richtlinie selbst eröffnen (bspw. für Bürgerenergiegenossenschaften oder geschlossene Verteilernetze für Industrie- und Gewerbekunden). Die deutsche Konstruktion der Kundenanlage erfüllt diese Ausnahmevoraussetzungen nicht.

Der deutsche Gesetzgeber durfte daher die Kundenanlagen nicht anders behandeln als die übrigen Verteilnetze. Die einheitliche Anwendung der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie müsse sichergestellt werden. Das gebietet auch der Gleichheitsgrundsatz.

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil wirkt zunächst nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits und damit nicht unmittelbar für sämtliche Betreiber oder Begünstigte von Kundenanlagen. Es handelte sich um ein Vorabentscheidungsverfahren, das eine bestimmte Rechtsfrage in einem bestimmten Rechtsstreit beantworten soll.

Der deutsche Gesetzgeber ist nun aber gezwungen zu handeln, da innerstaatliche Gerichte diese Normen des EnWG zukünftig nicht mehr ihren Urteilen zu Grunde legen dürfen. Insbesondere die Netzbetreiber werden die Bestimmungen des EnWG zu den Kundenanlagen nicht mehr anwenden. Eine erhebliche Rechtsunsicherheit für bestehende und geplante Anlagen und deren Betreiber ist die Folge. Ob und auf welche Weise der Gesetzgeber Abhilfe schafft, ist noch offen. Die bestehenden Ausnahmeregelungen der Kundenanlagen dürften aber der Vergangenheit angehören.

Nach jetzigem Stand sind die Betreiber von Kundenanlagen zukünftig verpflichtet, alle Regelungen für Verteilernetzbetreiber zu erfüllen, von der Genehmigungspflicht über die Erhebung von Netzentgelten und Umlagen bis zu den Melde- und Publikationspflichten der Netzbetreiber. Auch für den Anschluss von Photovoltaik-Anlagen an diese örtlichen Netze und die Strompreisbremse war die Einordnung als Kundenanlage von Bedeutung. Dies wird insbesondere Mehrbelastungen an Aufwand und Kosten verursachen. Betreiber sind gehalten, ihre Verträge und Gestaltungsmöglichkeiten bereits jetzt zu prüfen. Bei gewerblichen und industriellen Endkunden könnten die – unionsrechtlich unbedenklichen – geschlossenen Verteilernetze nach § 110 EnWG eine Renaissance erleben. Für private Endkunden ist dieser Weg aber verwehrt.

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