
Der „Traum“ eines Europäischen Raums für Gesundheitsdaten wird wahr
Bereits im März 2024 war eine vorläufige Einigung zwischen den EU-Staaten, dem EU-Parlament und der EU-Kommission zur Verordnung über die Schaffung des Europäischen Raums für Gesundheitsdaten (European Health Data Space – „EHDS“) erzielt worden, der am 21. Januar 2025 nun vom Europäischen Rat gebilligt wurde.
Der EHDS ist damit beschlossene Sache – er muss nur noch vom Rat und dem EU-Parlament förmlich unterzeichnet werden und tritt dann 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft.
Der EHDS verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele:
Zum einen sollen Einzelpersonen einfach und schnell Zugang und Kontrolle über ihre personenbezogenen Gesundheitsdaten erlangen – unabhängig davon, in welchem EU-Land sie sich befinden (sog. Primärnutzung). Zum anderen soll das Potential von Daten für Forschung und Innovation durch eine anonymisierte Weiterverwendung ausgeschöpft werden (sog. Sekundärnutzung). Dafür soll der EHDS die nationalen Gesundheitssysteme stärker miteinander verknüpfen und verlangt eine Vereinheitlichung der verschiedenen europäischen elektronischen Gesundheitsakten (sog. EHR-Systeme).
Bürger und Bürgerinnen der EU können der Nutzung der Gesundheitsdaten für bestimmte Zwecke aktiv widersprechen (sog. Opt-out-Verfahren), wie dies beispielsweise im Januar 2025 bei der automatisch eingeführten elektronischen Patientenakte in Deutschland nach dem Digital-Gesetz der Fall war.
Für die Hersteller insbesondere von Medizinprodukten und die Pharmaindustrie sind durch den EHDS weitreichende Auswirkungen zu erwarten:
Der EHDS ermöglicht Medizinprodukte- und Pharmaherstellern zwar einerseits Zugang zu umfangreichen Gesundheitsdaten, was zur Entwicklung und Verbesserung von deren Produkten auch benötigt wird. Im Gegenzug müssen sie andererseits jedoch sicherstellen, dass ihre Produkte nicht mehr nur den ohnehin strengen medizinprodukte- und datenschutzrechtlichen Anforderungen sowie ggfs. der KI-Verordnung genügen, sondern auch, dass ihre Produkte mit den neuen Datenstandards und -vorschriften des EHDS kompatibel sind, um den sicheren Datenaustausch zu gewährleisten.
Darüber hinaus verlangt Art. 51 EHDS von MedTech- und Pharma-Unternehmen und – ebenso von Kliniken oder Krankenkassen (als sog. „Gesundheitsdateninhaber“), die dort genannten Daten zur Sekundärnutzung zur Verfügung zu stellen. In der Liste der Datenkategorien finden sich u.a. durch Medizinprodukte generierte personenbezogene elektronische Gesundheitsdaten, Daten aus klinischen Prüfungen, klinischen Studien und Leistungsstudien und gesundheitsbezogene Daten aus Forschungskohorten, Fragebögen und Erhebungen, nach der ersten Veröffentlichung der entsprechenden Ergebnisse.
Außerdem ist vorgesehen, dass elektronische Gesundheitsdaten, die geschütztes geistiges Eigentum und Geschäftsgeheimnisse privater Unternehmen beinhalten, ebenfalls grundsätzlich zur Verfügung gestellt werden müssen – das MedTech-Unternehmen z.B. soll in diesem Fall „identifizieren, welche Teile der Datensätze betroffen sind, und begründen, weshalb der spezifische Schutz der Daten notwendig ist“ (Art. 52 Abs. 2 EHDS). Die Zugangsstellen für Gesundheitsdaten entscheiden daraufhin, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Rechte am geistigen Eigentum und die Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Der Datenzugang kann an rechtliche, organisatorische und technische Maßnahmen geknüpft werden, denkbar sind Vertragsvereinbarungen zwischen Dateninhabern und Nutzern zum Schutz geistigen Eigentums oder Geschäftsgeheimnissen. Die EU-Kommission hat vor, nicht bindende Vertragsvorlagen für solche Vereinbarungen auszuarbeiten und zu empfehlen.
Die elektronischen Gesundheitsdaten dürfen u.a. zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung im Bereich des Gesundheitswesens durch Unternehmen und Start-ups im Gesundheitssektor (sog. Gesundheitsdatennutzer) von den Zugangsstellen für Gesundheitsdaten angefordert werden, soweit sie zur Entwicklung und Innovation neuer Produkte und Dienstleistungen erforderlich sind (Art. 53 EHDS).
Die Daten sind zwar von den Gesundheitsdatennutzern nur im Einklang mit der zuvor erteilten Datengenehmigung (Art. 54, 68 EHDS) und der DSGVO zu verarbeiten. Das Spannungsverhältnis, das bei einer solchen Bereitstellung notwendigerweise zwischen dem Schutz von Immaterialgütern und Geschäftsgeheimnissen einerseits sowie den Zugangsansprüchen zu den Daten andererseits entsteht, ist aber offenkundig. Auch der Bundesverband der Medizintechnologie hatte in seiner Stellungnahme eindeutig darauf hingewiesen.
Der EHDS wird zum Großteil zwei Jahre nach dem zeitnah zu erwartenden Inkrafttreten anwendbar sein. Einige Vorschriften sind erst später anwendbar: Die Regeln über die Sekundärnutzung werden z.B. erst nach vier Jahren für Gesundheitsdateninhaber Verpflichtungen auslösen.
Unser Fazit:
Der EHDS wird eine Gratwanderung zwischen Potential und Herausforderung!
Ob er wie beabsichtigt „ein wesentliches Element bei der Schaffung einer starken und widerstandsfähigen Europäischen Gesundheitsunion ist“ (Erwägungsgrund 1 des EHDS) oder mittelfristig zu Wettbewerbsnachteilen führt, wird sich zeigen.
Wichtig ist – wie auch bei den sonstigen europäischen Verordnungen und Richtlinien – die richtige Vorbereitung und umfassende Schutzmaßnahmen. In Betracht kommen hierbei vor allem die Identifikation von sensiblen Daten, organisatorische Maßnahmen wie etwa Nutzungsbeschränkungen im Hinblick auf die kommerzielle Nutzung oder Datennutzungsverträge und technische Maßnahmen wie Verschlüsselung und Pseudonymisierung.
Dr. Meike Kapp-Schwoerer
Laura Peckruhn
10. Februar 2025