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Schneeballsysteme und die Rückforderung von Scheingewinnen

An Anleger eines Schneeballsystems erfolgte Auszahlungen, die auf tatsächlich nicht existenten Gewinnen beruhen, können im Rahmen der insolvenzrechtlichen Anfechtung von den Anlegern zurückgefordert werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH).

Sachverhalt

Dem Urteil des BGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die mittlerweile insolvente Gesellschaft („Schuldnerin“) warb von Anlegern Gelder ein, die die Schuldnerin an ihre Gründungsgesellschafterin L als Darlehen weiterleitete. Dabei gab die Schuldnerin vor, L würde ein Luxuspfandhaus betreiben. Tatsächlich stand hinter dem Geschäftsmodell ein Schneeballsystem, in dessen Rahmen die investierten Anlegergelder zweckwidrig verwendet wurden. Der klagende Insolvenzverwalter forderte von zwei der Anleger Zahlungen zurück, die diese von der Gesellschaft aufgrund ihrer stillen Beteiligung erhalten hatten. Zum einen handelte es sich bei den Auszahlungen um tatsächlich nicht existente Gewinne. Zum anderen erhielten die Anleger Einlagen zurück, obwohl die Einlagen aufgrund von Verlusten teilweise aufgezehrt waren; soweit die Einlagen durch Verlust aufgezehrt waren, fordert der Insolvenzverwalter deren Rückzahlung. Das Oberlandesgericht gab der Klage statt. Hiergegen wandten sich die Anleger mit der Revision beim BGH.

Das Urteil des BGH vom 14.12.2023 (Az. IX ZR 10/23)

Der BGH hat das Urteil des Oberlandesgerichts bestätigt und die Revision zurückgewiesen. Der BGH entschied, dass die an die Beklagten erfolgten Auszahlungen der Scheingewinne sowie die Rückzahlung der Einlagen (soweit diese durch Verluste aufgezehrt waren) als unentgeltliche Leistung vom Insolvenzverwalter zurückgefordert werden können. Die Beklagten hätten keinen Anspruch auf die Auszahlungen gehabt; dies war der Schuldnerin auch bekannt, daher handle es sich bei den Auszahlungen um unentgeltliche Leistungen im Sinne der Insolvenzanfechtung.

Praxishinweis

Dem BGH lag erneut ein Fall vor, bei dem die mittlerweile insolvente Gesellschaft zulasten ihrer Anleger ein Schneeballsystem aufgebaut hatte. Dabei erhalten Anleger Zahlungen aufgrund angeblicher Gewinne oder es werden Rückzahlungen auf Einlagen geleistet. Tatsächlich werden aber keine Gewinne, sondern Verluste erwirtschaftet. Diese Verluste führen weiter zur Aufzehrung der geleisteten Einlagen. Daher fordert der Insolvenzverwalter in solchen Konstellationen regelmäßig von den Anlegern die Rückzahlung der vor Insolvenzantrag geleisteten Zahlungen. Denn soweit die Zahlungen auf Scheingewinnen beruhen oder zurückgeleistete Einlagen vorab durch Verlust aufgezehrt waren, stand den Anlegern kein Anspruch auf diese Zahlungen zu.

Rechtlich betrifft der Fall des BGH die sog. „Schenkungsanfechtung“. Schenkung ist in dem Sinne nicht wörtlich, sondern sehr weit zu verstehen und betrifft grundsätzlich alle sog. unentgeltlichen Leistungen. Unentgeltlich ist eine Leistung, wenn die Schuldnerin hierfür keine Gegenleistung erhält. Wenn wie im Fall des BGH die Leistung nur ohne gesetzliche oder vertragliche Grundlage erfolgt, also „rechtsgrundlos“, erlangt der Leistende grundsätzlich einen sog. bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückforderung, der als Äquivalent zur Leistung angesehen wird und daher die Unentgeltlichkeit ausschließt. Weiß die leistende Schuldnerin allerdings, dass der Gläubiger auf die Leistung keinen Anspruch hat, kann die Schuldnerin diese Leistung nicht nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückfordern; ihre Leistung erfolgt somit „unentgeltlich“ im Sinne der Schenkungsanfechtung. Im Fall des BGH betrieb die Schuldnerin ein Schneeballsystem und wusste damit, dass einerseits weder Gewinne vorlagen und andererseits stattdessen ausschließlich Verluste erwirtschaftet wurden, die die Einlagen bereits teilweise aufgebraucht hatten. Solche unentgeltlichen Leistungen sind anfechtbar, wenn sie im Zeitraum von vier Jahren vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden.

Auf den ersten Blick mag es unfair erscheinen, dass der vom Schneeballsystem nichtsahnende Anleger die erhaltenen Beträge zurückzahlen muss. Allerdings dient das Insolvenzrecht dazu, alle Gläubiger der Schuldnerin gleich zu behandeln. Dieser sog. Gleichbehandlungsgrundsatz stellt sicher, dass nicht einige wenige Gläubiger auf Kosten von vielen anderen Gläubigern ungerechtfertigte Vorteile erlangen. Für den einzelnen Anleger ist dies natürlich eine unbefriedigende Situation und zeigt einmal mehr, dass Anlageprodukte mit „zu guten Renditen“ stets vorab sorgfältigst zu prüfen sind.

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