

Nahestehende Person auch bei mittelbarer Beteiligung
Auch mittelbar an einer Gesellschaft Beteiligte können nahestehende Personen im Sinne des Insolvenzanfechtungsrechts sein und damit einem verschärften Anfechtungsrecht unterliegen. Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH).
Sachverhalt
Dem Urteil des BGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Alleingesellschafterin der insolventen Gesellschaft („Schuldnerin“) war eine GmbH, deren Anteile wiederum zu 100% einem eingetragenen Verein gehörten. Die insolvente Gesellschaft hatte vor Insolvenz wiederholt Gelder, zuletzt EUR 146.400 ca. einen Monat vor Stellung des Insolvenzantrags, an den Verein überwiesen. Der Insolvenzverwalter begehrte im Wege der insolvenzrechtlichen Anfechtung Zahlung in Höhe von insgesamt EUR 296.700. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Auch die Berufung beim Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führten die Vorinstanzen aus, dass dem Verein eine gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO erforderliche Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht nachgewiesen werden könne. In Höhe von EUR 146.400 verfolgte der Insolvenzverwalter seine Klage mit der Revision beim BGH weiter.
Das Urteil des BGH vom 22.02.2024 (Az. IX ZR 106/21)
Der Bundesgerichtshof hat die Revision zugelassen und das Urteil der Vorinstanz aufgehoben. Der BGH führte aus, dass der eingetragene Verein aufgrund seiner mittelbaren Beteiligung an der Schuldnerin als nahestehende Person gilt. Dies führe dazu, dass die Verschärfung gemäß § 130 Abs. 3 InsO greife und die Kenntnis des Vereins von der Zahlungsunfähigkeit bei der Schuldnerin im Zeitpunkt der Überweisung zu vermuten sei. Da es in diesem Fall an dem Verein ist, diese vermutete Kenntnis zu widerlegen, wurde die Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung und ggf. Beweisaufnahme zurückverwiesen.
Praxishinweis
Die insolvenzrechtliche Anfechtung ist eine der Kernmaterien des Insolvenzrechts. Es handelt sich hierbei um ein Instrumentarium des Insolvenzverwalters, durch welches ungerechte Vermögensverschiebungen im Vorfeld der Insolvenz zugunsten Einzelner im Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung rückgängig gemacht werden können. Das betrifft zum einen Rechtshandlungen, die vorgenommen werden, nachdem der Schuldner bereits insolvent war, d.h. ein Insolvenzgrund vorlag und ein Insolvenzantrag bereits gestellt war oder hätte gestellt werden müssen. Zum anderen betrifft es Rechtshandlungen, die der Schuldner mit dem Vorsatz vornimmt, seine Gläubiger zu benachteiligen. Kannte der Leistungsempfänger diesen Vorsatz, ist die Rechtshandlung sogar bis zu zehn Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbar.
Der Fall des BGH betrifft die Anfechtung von Rechtshandlungen im „Dreimonatszeitraum“ vor Insolvenzantragstellung. Rechtshandlungen in diesem Zeitraum unterliegen einem besonderen Schutz, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Krise ab diesem Zeitpunkt regelmäßig erkennbar ist und eine Bevorzugung einzelner Gläubiger zum Schutz der Gläubigergesamtheit verhindert werden soll.
Dabei sieht das Gesetz dem Schuldner nahestehende Personen als weniger schützenswert an als andere Insolvenzgläubiger, weil diese – in der Regel – einen Wissensvorsprung über die wirtschaftliche Lage des Schuldners haben. Nahestehende Personen sind bei natürlichen Personen, insbesondere Ehepartner oder Verwandte in gerader Linie und bei einer Gesellschaft (z.B. GmbH, GmbH & Co. KG, etc.) u.a. die Geschäftsleitung oder Gesellschafter. Das gilt – wie der BGH jetzt feststellte – nicht nur bei unmittelbaren, sondern auch bei mittelbaren Beteiligungen an der betreffenden Gesellschaft. Gegenüber nahestehenden Personen wird daher vermutet, dass die für die Anfechtung erforderliche Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bei Leistung der Zahlung vorhanden war. Es ist dann an der nahestehenden Person zu beweisen, dass sie keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte. Das wird in aller Regel nicht gelingen.
27. Mai 2024