Die Publizität des Handelsregisters – Vertrauen auf Eintragungen im Handelsregister?!
Auf Handelsregistereintragungen darf man sich grundsätzlich verlassen. Doch: Dieser Grundsatz stößt an Grenzen, wenn man weiß, dass das Handelsregister unrichtig ist. Daran erinnerte jüngst der BGH.
Sachverhalt: Immobilienverkauf durch abberufenen Geschäftsführer
Der BGH befasste sich im Zusammenhang mit einem Immobilienverkauf mit der Reichweite des Vertrauensschutzes bei Eintragungen im Handelsregister.
Eine GmbH, die spätere Klägerin, verkaufte Immobilien im Wert von mehreren Millionen Euro an eine andere Gesellschaft. Beim Vertragsschluss wurde die GmbH von dem in das Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer vertreten; einen Gesellschafterbeschluss hatte er vorher nicht eingeholt. Erst wenige Tage zuvor war zudem ein Gesellschafterbeschluss über die Abberufung des Geschäftsführers gefasst worden, was der Käuferin auch bekannt war. Sie wusste außerdem, dass der Geschäftsführer und eine Minderheitsgesellschafterin der GmbH diesen Beschluss für unwirksam hielten.
Die GmbH klagte gegen die Käuferin auf Zustimmung zur Löschung der im Zusammenhang mit dem Verkauf eingetragenen Auflassungsvormerkungen. Zuletzt befasste sich der BGH mit der Angelegenheit und führte detailliert zur sogenannten Publizitätswirkung des Handelsregisters aus.
Das Urteil des BGH vom 09.01.2024 (Az. II ZR 220/22): Zurückverweisung an das Kammergericht
Grundsätzlich, so der BGH, dürfe man sich nach § 15 Handelsgesetzbuch (HGB) auf das verlassen, was im Handelsregister eingetragen sei. Deswegen habe sich auch die Käuferin im Ansatzpunkt darauf berufen können, dass der eingetragene Geschäftsführer zum Vertragsabschluss befugt sei.
Diese Publizitätswirkung des Handelsregisters gelte aber nicht, wenn man als Vertragspartner positive Kenntnis davon habe, dass die Handelsregistereintragung falsch sei. Dazu reiche es aber nicht, wenn man den Abberufungsbeschluss kenne – man müsse wissen, dass die Abberufung unwirksam war. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen nicht. Wenn es konkret um die Abberufung eines Geschäftsführers gehe, reiche es auch nicht aus, wenn man den Abberufungsbeschluss kenne. Man müsse vielmehr von der Wirksamkeit der Abberufung Kenntnis haben. Daran fehlte es im konkreten Fall, weil die Wirksamkeit der Abberufung im Streit Das sei hier nicht der Fall, weil die Käuferin wusste, dass die Wirksamkeit der Abberufung umstritten war.
Der BGH hatte im Ergebnis trotzdem Zweifel an der wirksamen Vertretung der GmbH durch ihren Geschäftsführer. Er meinte: Die Käuferin hätte wissen können, dass der Geschäftsführer wahrscheinlich einen – aufgrund der Bedeutung des Verkaufs erforderlichen – Gesellschafterbeschluss nicht eingeholt hatte. Nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht könne es daher sein, dass dem Geschäftsführer trotz seiner Eintragung in das Handelsregister doch die erforderliche Vertretungsmacht für den Immobilienverkauf fehle. Um diesen Punkt weiter aufzuklären, verwies der BGH die Entscheidung zurück an das Kammergericht Berlin.
In einer Nebenbemerkung bestätigte das Gericht unabhängig davon seine Rechtsprechung zur (Nicht-)Anwendbarkeit von § 179a Aktiengesetz (AktG) (Urteil des BGH vom 08.01.2019, Az. II ZR 364/18) – diese Vorschrift regelt die automatische Unwirksamkeit von bedeutsamen Geschäften, die von der Geschäftsführung ohne Zustimmung der Gesellschafter vorgenommen werden – und stellte klar, dass diese Regelung auf die GmbH nicht anwendbar ist.
Praxishinweis
Das elektronische Handelsregister informiert öffentlich über die wesentlichen rechtlichen Verhältnisse von Kaufleuten und Gesellschaften, wie z.B. Sitz, Geschäftsanschrift, Unternehmensgegenstand, Gesellschafter und vertretungsberechtigte Personen. Auf die Eintragungen im Handelsregister darf man sich verlassen. Zum einen gilt eine Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der eingetragenen Tatsachen (sog. positive Publizität), zum anderen schützt das Handelsregister den guten Glauben an das Fehlen nicht eingetragener oder bekanntgemachter Tatsachen (sog. negative Publizität). Anders gesagt: Man darf glauben, was im Handelsregister eingetragen ist, und man muss sich nicht entgegenhalten lassen, was dort nicht eingetragen ist. Das gilt aber nur – das betont auch das neue Urteil des BGH – wenn man keine positive Kenntnis davon hat, dass das Handelsregister insoweit unrichtig ist. In diesem Fall ist man nicht schutzwürdig.
Die Publizitätswirkung des Handelsregisters ist gerade mit Blick auf die Vertretungsmacht von Vorständen, Geschäftsführern oder geschäftsführenden Gesellschaftern von Bedeutung. Wer als vertretungsberechtigte Person im Handelsregister steht, darf die Gesellschaft vertreten; wer nicht eingetragen ist, muss gegenüber Vertragspartnern seine Vertretungsbefugnis (teils aufwendig) nachweisen. Deswegen ist wichtig, die Handelsregistereintragungen stets so aktuell wie möglich zu halten und Änderungen der vertretungsberechtigten Personen möglichst zeitnah zur Eintragung anzumelden.
Zugleich darf man allgemeine Rechtsgrundsätze, namentlich die Grundsätze zum sog. Missbrauch der Vertretungsmacht, nicht aus dem Blick verlieren. Einfach gesprochen geht es um Fälle, in denen Beschränkungen aus dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis (z.B. Kataloge zustimmungspflichtige Geschäfte) auf das Außenverhältnis durchschlagen und die in das Handelsregister eingetragene Vertretungsbefugnis ausnahmsweise entfallen lassen. Das ist dann der Fall, wenn eine vertretungsberechtigte Person (z.B. ein Geschäftsführer) durch die Überschreitung seiner Geschäftsführerbefugnisse die Gesellschaft bewusst schädigt und der Vertragspartner dies weiß oder sich ihm dieses Wissen zumindest hätte aufdringen müssen. Man spricht in diesen Fällen auch von „Evidenz“ oder „Kollusion“. Eine solche Konstellation konnte der BGH auch in seiner Entscheidung vom 09.01.2024 nicht ausschließen; dort meinte er, dass die Käuferin das Fehlen eines intern erforderlichen Gesellschafterbeschlusses ggf. hätte kennen müssen. Umso wichtiger ist es, dass Geschäftsführer etwaige Beschränkungen im Innenverhältnis beachten und dass Vertragspartner sich in Zweifelsfällen lieber einmal zu viel rückversichern, dass die handelnde Person wirklich alle erforderlichen Genehmigungen und Beschlüsse eingeholt hat. Ansonsten droht die Unwirksamkeit des Vertrags.
17. April 2024