Unzulässige Kombination aus Freiwilligkeits-/Widerrufsvorbehalt und Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung
Das Bundesarbeitsgericht hat bestätigt, dass der Vorbehalt eines Arbeitgebers in einer Zusage, der aus einer Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt besteht, intransparent und damit nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Dies gilt in gleicher Weise für einen arbeitsvertraglichen Freiwilligkeitsvorbehalt, der so ausgelegt werden kann, dass dieser auch spätere Individualabreden über Leistungen des Arbeitgebers erfasst.
Ändert ein Arbeitgeber die im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, kann ein Arbeitnehmer weiterhin Vergütung auf Basis der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern.
Sachverhalt
Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Mehrere Kläger haben Ansprüche auf Zahlung von Urlaubsgeld für das Jahr 2020 gegen ihren verklagten Arbeitgeber geltend gemacht, das dieser aufgrund der wirtschaftlichen Situation nicht gezahlt hatte.
Die Beklagte zahlte bereits seit Mitte der 1990er-Jahre an ihre Arbeitnehmer ein Urlaubsgeld. Ob aufgrund Zahlungen oder Erklärungen bis zum Jahr 2008 bereits ein Anspruch auf ein Urlaubsgeld entstanden war, konnte nicht aufgeklärt werden.
In den Jahren 2008 bis 2013 wies der Arbeitgeber die Arbeitnehmer bei Auszahlung des Urlaubsgeldes mit Informationsschreiben u.a. darauf hin, dass über die Höhe einer vollen Urlaubszuwendung mit einer ergänzenden Regelung jährlich entschieden und diese festgelegt wird, zudem dass die Urlaubsgratifikation eine „einmalige, freiwillige und jederzeit widerrufliche soziale Leistung“ ist.
Ein Betriebsrat wurde bei der Beklagten erstmals im Jahr 2013 errichtet, mit dem es keine Absprachen zum Urlaubsgeld gab.
In den Jahren ab 2014 änderte die Beklagte ihre Hinweise bei Auszahlung des Urlaubsgeldes und wies seitdem u.a. auf die Freiwilligkeit der Zahlung hin, stimmte dies mit dem Betriebsrat nicht ab.
Die Arbeitsverhältnisse der Kläger mit dem Arbeitgeber begannen erst in den Jahren 2016 und 2018. Im Arbeitsvertrag eines der Kläger war noch eine Regelung enthalten, nach der Gratifikationen im freien Ermessen der Firma liegen und keinen Rechtsanspruch begründen.
Das Arbeitsgericht gab den Klagen auf Zahlung in voller Höhe statt. Auf die Berufungen des Arbeitgebers wies das Landesarbeitsgericht die Klage ab (Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 25.08.2022 – 5 Sa 994/21).
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Kläger hatten beim Bundesarbeitsgericht Erfolg.
Ansprüche der Kläger auf Zahlung von Urlaubsgeld für das Jahr 2020 resultieren nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes bereits aus dem ersten Informationsschreiben des Arbeitgebers aus dem Jahr 2008. Mit diesem wurde den Arbeitnehmern eine Gesamtzusage erteilt. Die im Schreiben des Arbeitgebers verwendeten Formulierungen hätten deutlich gemacht, dass ein Anspruch habe vermittelt werden bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch nicht habe bestehen sollen. Die erfolgte Mitteilung des Arbeitgebers, über die Höhe der Urlaubszuwendung werde jährlich entschieden, setze einen Anspruch dem Grund nach voraus.
Auch Arbeitnehmer, die erst im Anschluss an die Information im Jahr 2008 in den Betrieb eingetreten seien, hätten aufgrund der Gesamtzusage des Arbeitgebers einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagte Leistung erworben, wenn sie die hierin genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Wirksam werde eine Gesamtzusage bereits dann, wenn sie gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form verlautbart werde, die die einzelnen Beschäftigten typischerweise in die Lage versetze, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Eine Gesamtzusage habe für alle Arbeitnehmer dann auch den gleichen Inhalt und die gleiche Bedeutung, sofern es nicht zwischenzeitlich zu einer Veränderung des Inhalts der Zusage durch den Arbeitgeber gekommen oder diese für die Zukunft aufgehoben worden sei.
Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass der im Jahr 2008 verwendete Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt intransparent sei und eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB darstelle.
Auch der im Fall eines der Kläger im Arbeitsvertrag vereinbarte ausschließliche Freiwilligkeitsvorbehalt stehe dem aus dem Informationsschreiben des Jahres 2008 herrührenden Anspruch nicht entgegen. Diese Klausel sei auch nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil dieser Vorbehalt nicht auf den Entstehungsgrund etwaiger Ansprüche auf die genannten Leistungen abstelle. Die verwendete Klausel lasse eine Auslegung zu, dass der verwendete Vorbehalt auch spätere Individualabreden über die Zahlung der genannten Leistungen erfasse, deshalb sei auch dieser unwirksam.
Mit den Schreiben, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit den Urlaubsgeldzahlungen an ihre Beschäftigten in den Jahren 2014 bis 2019 richtete, habe ein Anspruch mangels wirksamer Beteiligung des im Jahr 2013 gebildeten Betriebsrats nicht für die in den Jahren 2016 bzw. 2018 neu eingetretenen Beschäftigten zu deren Lasten inhaltlich verändert werden können. Für diese Beschäftigten, und damit auch die Kläger, habe vielmehr weiterhin die Gesamtzusage nach Maßgabe des Informationsschreibens aus dem Jahr 2008 gegolten.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG habe der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung mitzubestimmen, insbesondere bei der Aufstellung und auch der Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Für das Beteiligungsrecht des Betriebsrates komme es nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgt sei. Dieses sei auch zu beachten, wenn es sich wie im vorliegenden Fall um eine vom Arbeitgeber einseitig praktizierte Vergütungsordnung gehandelt habe.
Aufgrund der sog. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung des Bundesarbeitsgerichtes könnten Arbeitnehmer bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze weiterhin eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Eine Zustimmung des erst im Jahr 2013 erstmals gewählten Betriebsrats zu den zunächst unverändert fortbestehenden Entlohnungsgrundsätzen sei damals nicht erforderlich gewesen. Mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sei erst die Änderung des bestehenden Entlohnungssystems gewesen, nachdem der Betriebsrat gewählt worden war.
Ohne Beteiligung des im Jahr 2013 gebildeten Betriebsrats habe die Gesamtzusage auf Grundlage des Informationsschreibens aus dem Jahr 2008 in den Folgejahren nicht zu Lasten der Kläger inhaltlich umgestaltet werden können. Die Kläger könnten sich deshalb zur Begründung ihrer Ansprüche weiter auf die Regelung aus dem Jahr 2008 berufen. Das Bundesarbeitsgericht musste damit nicht prüfen, ob einseitig vorgenommene Veränderungen und Ergänzungen des Inhalts der Gesamtzusage und/oder die geänderten arbeitsvertraglichen Regelungen wirksam sind.
Weil der Arbeitgeber im arbeitsgerichtlichen Verfahren auch nur unzureichend zu seiner wirtschaftlicher Situation vorgetragen hatte, hat es das Bundesarbeitsgericht abgelehnt, im Rahmen einer im vorliegenden Verfahren erforderlichen richterlichen Leistungsbestimmung das Urlaubsgeld zu reduzieren oder den Anspruch gar vollständig zu verneinen. Es hat dem Antrag der Kläger deshalb in voller Höhe stattgegeben (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.02.2024 – 10 AZR 345/22).
Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes ist für die Praxis für Arbeitgeber und Arbeitnehmer wichtig. Sie zeigt instruktiv auf, dass sorgfältig geprüft werden muss, was in der Vergangenheit geschehen und evtl. zugesagt worden ist, da dies insbesondere in Betrieben mit einem Betriebsrat auch für später noch eingetretene Arbeitnehmer von Relevanz sein kann.
Auch in Betrieben ohne Betriebsrat ist bei der Formulierung von Freiwilligkeitsvorbehalten hohe Sorgfalt anzuwenden. Ältere Standardformulierungen hierzu sollten ohne Prüfung nicht verwendet werden. Freiwilligkeitsvorbehalte müssen, wenn diese aufgenommen werden sollen, an die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angepasst werden.
Gibt es einen Betriebsrat, ist ein Arbeitgeber, der Entlohnungsgrundsätze ändern will, gut beraten, dies mit dem Betriebsrat abzustimmen. Das geht nicht konkludent, der Betriebsrat muss hierüber vielmehr einen wirksamen Beschluss fassen und diesen dem Arbeitgeber mitteilen, was der Arbeitgeber in einem evtl. späteren Streit dann aber auch nachweisen können muss.
In Betrieben mit einem Betriebsrat könnte es sich evtl. anbieten, die Zahlung eines Urlaubs- und/oder Weihnachtsgeldes, wenn ein solches freiwillig gezahlt werden soll, in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, die evtl. auch nur befristet und ohne Nachwirkung für ein Jahr gilt; zumindest die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates wären dann für diese Jahr gewahrt. Ob damit indes auch ein bereits bestehender arbeitsvertraglicher Anspruch auf eine solche Gratifikation aufgehoben oder geändert werden kann, muss im Einzelfall genau geprüft werden.
28. Mai 2024