Kein Schutz der Stammarbeitnehmer bei Besserstellung von Leiharbeitnehmern
Eine Arbeitnehmerin hat keinen Anspruch auf ein höheres Gehalt, das vergleichbaren Leiharbeitnehmenden gezahlt wird. Der Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG schütze Leiharbeitnehmende vor einer Schlechterstellung, nicht aber Stammarbeitnehmende. Das hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) mit Urteil vom 09.01.2024 (Az.: 5 Sa 37/23) entschieden.
Sachverhalt
Dem Urteil des LAG liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin hatte zum 01.01.2013 mit der Beklagten einen Arbeitsvertrag über eine Beschäftigung als Call-Center Agentin im Servicecenter abgeschlossen. Ein Tarifvertrag findet auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Die Beklagte ist ein konzernabhängiges Unternehmen und beschäftigt bundesweit rund 2.500 Mitarbeiter/innen an 21 Standorten, von denen sie mit etwa 900 selbst einen Arbeitsvertrag geschlossen hat. Im Übrigen setzt die Beklagte Leiharbeitnehmer/innen ein, von denen mehr als 1.500 aus konzernangehörigen und rund 70 aus konzernfremden Unternehmen stammen.
An dem Standort, an dem die Klägerin tätig ist, arbeiten ca. 45 Beschäftigte. Zwei dieser Beschäftigte, u.a. die Klägerin, sind dort als Call-Center Agenten auf Grundlage eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten tätig, während die übrigen Beschäftigten von der Nebenintervenientin, die über mehrstufige Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge mit der Beklagten verbunden ist, entliehen oder als Beamte nach dem Postpersonalrechtsgesetz zugewiesen sind. Die von der Nebenintervenientin entliehenen und zugewiesenen, als Call-Center Agenten eingesetzten Beschäftigten werden deutlich besser vergütet als die Klägerin. Die Nebenintervenientin verfügt über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Die unmittelbare Vorgesetzte der Klägerin ist eine Teamleiterin, die in einem Arbeitsverhältnis zur Nebenintervenientin steht und von dieser an die Beklagte entliehen ist. Den Teamleitern übergeordnet ist eine Abteilungsleiterin, die verbeamtet und der Beklagten zugewiesen ist. Ihr Vorgesetzter ist der Leiter Kundencenter zweier Städte, ein Beamter. Dieser war zunächst nach dem Postpersonalrechtsgesetz beurlaubt. Seit Eintritt in die Altersteilzeit im November 2022 ist er aufgrund einer Zuweisung tätig.
Die Klägerin war der Ansicht und beantragte daher festzustellen, dass sie als Leiharbeitnehmerin beschäftigt sei, da der Betrieb gerade nicht von der Beklagten geführt werde, sondern von einer Nebenintervenientin, die neben den gesamten Führungskräften auch den weitaus größten Teil der Call-Center Agenten stelle. Die Leitung der Betriebsstätte liege ausschließlich in den Händen der Nebenintervenientin. Tatsächlich sei die Klägerin in einer Arbeitsorganisation der Nebenintervenientin eingegliedert. Als Leiharbeitnehmerin verlangte sie in Klage darüber hinaus Auskunft über die für vergleichbare Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts, um ihre Ansprüche auf Gleichstellung geltend machen zu können.
Das Arbeitsgericht Schwerin wies die Klage mit Urteil vom 02.02.2023 (Az.: 1 Ca 456/22) ab, da die Klägerin nicht als Leiharbeitnehmerin eingesetzt sei. Dagegen legte die Klägerin Berufung beim LAG ein (Az.: 5 Sa 37/23).
Entscheidungsgründe
Das LAG wies die Berufung der Klägerin zurück. Nach der Entscheidung des LAG überlies die Beklagte die Klägerin nicht i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG als Leiharbeitnehmerin an die Nebenintervenientin als Entleiherin. Die Klägerin erbringt ihre Arbeitsleistung als Call-Center Agentin nicht in einem Betrieb der Nebenintervenientin. Sie ist nicht als Leiharbeitnehmerin für die Nebenintervenientin tätig.
Ein Arbeitnehmer wird nicht deshalb zu einem Leiharbeitnehmer, weil seine direkten Vorgesetzten und die Mehrzahl der Mitarbeiter im Betrieb nicht in einem Arbeitsverhältnis zu der Arbeitgeberin stehen, sondern als Leiharbeitnehmer aus einem anderen (konzernangehörigen) Unternehmen oder als zugewiesene Beamte beschäftigt sind. Die Klägerin unterliegt nicht den Weisungen eines Dritten, der Nebenintervenientin. Die Vorgesetzten der Klägerin stehen zwar nicht in einem Arbeits- oder Beamtenverhältnis zur Beklagten. Sie verfolgen jedoch mit ihrer Tätigkeit die Betriebszwecke der Beklagten, indem sie den Betrieb des Servicecenters organisieren und absichern. Damit tragen sie zum wirtschaftlichen Ergebnis der Beklagten bei.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Auskunft über die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts der anderen Call-Center Agenten. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 13 AÜG noch aus einer sonstigen Vorschrift. Der Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG schützt Leiharbeitnehmer vor einer Schlechterstellung gegenüber einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer. Er schützt jedoch nicht die Stammarbeitnehmer. Ein Anspruch auf Gewährung des Entgelts der besser vergüteten Leiharbeitnehmer ergibt sich daraus nicht.
Hinweis für die Praxis
Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, ausschließlich mit eigenen Mitarbeitern zu arbeiten. Er kann sich grundsätzlich Fremdpersonal beschaffen und deren Leistungen nutzen, ohne dass die Stammbeschäftigten geltend machen können, dass diese selbst im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt werden. Ein Arbeitnehmer wird demnach nicht zu einem Leiharbeitnehmer, weil seine direkten Vorgesetzten und die Mehrzahl der Mitarbeiter im Betrieb nicht in einem Arbeitsverhältnis zu der Arbeitgeberin stehen, sondern als Leiharbeitnehmer aus einem anderen (konzernangehörigen) Unternehmen oder als zugewiesene Beamte beschäftigt sind. Es bleibt zu beachten, dass der Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG Leiharbeitnehmende vor einer Schlechterstellung schützt, nicht aber Stammarbeitnehmende.
6. Mai 2024