Kann das freigestellte Betriebsratsmitglied seine streitigen Vergütungsansprüche auf Kosten des Arbeitgebers beim Arbeitsgericht geltend machen?
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben diese Frage verneint (Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 11.03.2024, 3 Ta 12/23). Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht ist allerdings zugelassen.
Sachverhalt
Die Beteiligten stritten im Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht vorrangig über die zutreffende Verfahrensart.
Der Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Beschwerdeführer) ist seit dem 1. April 2000 bei der Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Arbeitgeberin) als Verkäufer beschäftigt und seit 19. März 2010 Mitglied des zu 3 beteiligten Betriebsrats, dessen Vorsitzender er ist. Mit Wirkung ab 1. Juli 2016 wurde der Beschwerdeführer für seine Betriebsratstätigkeit freigestellt. Im Zusammenhang mit seiner Freistellung traf er mit der Arbeitgeberin am 27. Juni 2016 eine Vereinbarung über seine Vergütung, die absprachegemäß bis 2021 jährlich entsprechend den üblichen Tarifsteigerungen angepasst wurde.
Mit Schreiben vom 21. März 2023 teilte die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer mit, dass er zukünftig neben einem Grundgehalt eine monatlich schwankende Provision sowie eine Ausgleichszahlung erhalten werde. Zudem machte die Arbeitgeberin die Rückforderung von im Zeitraum von September 2022 bis Februar 2023 gezahlter Vergütung geltend und behielt schließlich einen Betrag von 13.287,06 Euro brutto von der Vergütung für März 2023 ein.
Gegen dieses Vorgehen der Arbeitgeberin wendet sich der Beschwerdeführer mit dem vorliegenden Beschlussverfahren. Er begehre im Kern die Abwehr der vorliegenden Benachteiligungen im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG und Schadensersatz (Naturalrestitution) wegen Verletzung des Benachteiligungsverbots sowie Auskünfte, um prüfen zu können, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ihm weitere Ansprüche zur Abwehr einer Benachteiligung zustehen. Er hat deshalb Zahlungs-, Feststellungs- und Auskunftsansprüche geltend gemacht.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 24. August 2023, der dem Beschwerdeführer am 31. August 2023 zugestellt wurde, die gewählte Verfahrensart des Beschlussverfahrens für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit in das Urteilsverfahren verwiesen.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer mit einem am 6. September 2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, verbunden mit dem Ziel, den Beschluss des Arbeitsgerichts aufzuheben und das Verfahren in die zulässige Verfahrensart des Beschlussverfahrens zurückzuverweisen.
Der Beschwerdeführer trägt vor: Könnten sich Betriebsräte regelmäßig nur im Urteilsverfahren gegen eine rechtswidrige Benachteiligung wehren, würde dies u. a. praktisch bedeuten, dass sie selbst bei einer erwiesenen Benachteiligung die erstinstanzlichen Rechtsanwaltskosten selbst tragen müssten, obwohl es gerade um die Klärung einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitfrage gehe.
Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache jedoch die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Verfahrensart, in der ein Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen zu entscheiden ist, bestimme sich nach § 2 und § 2 a ArbGG. In den in § 2 ArbGG geregelten Arbeitssachen finde das Urteilsverfahren statt (§ 2 Abs. 5 ArbGG), während über die in § 2 a ArbGG genannten Arbeitssachen im Beschlussverfahren zu befinden sei (§ 2 a Abs. 2 ArbGG). Dem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren seien u. a. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis ausschließlich zugewiesen. Im Beschlussverfahren sei dagegen u. a. nach § 2 a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 ArbGG über Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz zu entscheiden, soweit es nicht um strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz geht, die den ordentlichen Gerichten zugewiesen sind.
Die Verfahrensarten schlossen sich gegenseitig aus. Außerdem unterläge die Verfahrensart nicht der Dispositionsbefugnis der Parteien oder Beteiligten, hänge vielmehr ausschließlich vom maßgeblichen Streitgegenstand ab. Dieser sei nach den gestellten Anträgen und dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt zu beurteilen.
Für das Vorliegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit sei entscheidend, ob der geltend gemachte Anspruch bzw. die begehrte Feststellung ihre Rechtsgrundlage in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis hat.
Vergütungsansprüche auch eines (freigestellten) Betriebsratsmitglieds hätten ihre Rechtsgrundlage in dem bestehenden privatrechtlichen Arbeitsverhältnis, seien damit bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG und gehörten nicht zu den „Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz“ gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Die Frage, ob bei der Berechnung und Auszahlung der Vergütung des Beschwerdeführers die betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben richtig umgesetzt worden seien, sei nur eine Vorfrage des individuellen Vergütungsanspruchs.
Hinweis für die Praxis
Im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren hat jede Partei – unabhängig vom Ausgang des erstinstanzlichen Rechtsstreits – ihre außergerichtlichen Kosten, zu denen insbesondere die Gebühren einer anwaltlichen Vertretung zählen, selbst zu tragen. In den weiteren Instanzen des Urteilsverfahrens folgt die Pflicht zur Kostentragung der jeweiligen Entscheidung in der Hauptsache. Im Beschlussverfahren dagegen trägt alle erforderlichen Kosten durch alle Instanzen hindurch ausschließlich die Arbeitgeberseite. Genau aus diesem Grund hat der freigestellte Betriebsratsvorsitzende das Beschlussverfahren gewählt, dieses Argument auch ausdrücklich im Verfahren vorgebracht.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben zu Recht und mit überzeugenden Gründen das Beschlussverfahren mit der dargestellten Kostentragungsfolge als nicht einschlägig erkannt. Eine nicht begründbare, sogar rechtswidrige Besserstellung eines Betriebsratsmitglieds gerade wegen seines Amts (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) kommt nicht in Betracht. Auch das Mitglied eines Betriebsrates muss seine Vergütungsansprüche im Streit mit dem Arbeitgeber zu denselben Bedingungen geltend machen, wie seine Kolleginnen und Kollegen ohne betriebsverfassungsrechtliches Mandat.
30. April 2024